Heute erinnern allein die Mertonstraße , das Merton-Viertel, eine Wilhelm-Merton-Schule, ein Übersetzerpreis sowie ein Universitätsinstitut namentlich an den Frankfurter jüdischer Herkunft, dessen Engagement die Stadt so viel verdankt. Wer aber war Wilhelm Merton?
(Titelfoto: Fritz Klimsch, Porträtbüste Wilhelm Merton. © UAF Abt. 812 Nr. 104)
Gründung der Metallgesellschaft
Es war die Zeit der zweiten Industrialisierung, der Beginn der Moderne, als Wilhelm Merton, 1848 als William Moses in eine jüdische Familie geboren, 1881 in Frankfurt die Metallgesellschaft AG gründete; in der 1905 eingeweihten Konzernzentrale an der Bockenheimer Anlage/Ecke Reuterweg hat heute die Privatbank Julius Bär ihren Sitz. Die Metallgesellschaft entwickelte sich innerhalb weniger Jahre zu einem der erfolgreichsten Unternehmen seiner Branche. Das Kerngeschäft Mertons – die Förderung von und der Handel mit Nichteisen-Metallen, allen voran Kupfer, Blei und Zink – boomte in den Jahren der elektrotechnischen Revolution und der rasanten Ausbreitung von Telefonie und Stromleitungen. Weltweit entstanden Filialen und Tochterunternehmen, darunter die American Metal Company in New York, die Australian Metal Company in Melbourne und die Compañía de Minerales y Metales in Mexiko. Mit der englischen Niederlassung unter Leitung des Bruders Henry R. Merton entstand eine lukrative Verbindung zur prestigereichen Londoner Metallbörse.
Philipp Stein, (Frankfurter Rechtsanwalt, Kommunalpolitiker und ab 1903 Leiter Instituts für Gemeinwohl), 1917"Er ging den Armen nach in ihre Wohnungen und in ihre Familien, und so kam er von den Armen zur Armut, und sie führte ihn den Weg zur sozialen Frage."
Der "Wohlfahrtskapitalist"
Merton wurde Multimillionär; Ende des 19. Jahrhunderts zählte er zu den zehn reichsten Frankfurtern. Trotz oder gerade wegen seines Reichtums setzte sich der Metallmagnat unermüdlich für damals noch unpopuläre Themen wie Betriebsrente, Gewerbehygiene, später Arbeitsschutz, und die Verbesserung der erbärmlichen Wohnsituation vieler Industriearbeitenden ein. Die im Zeitalter der Industrialisierung sich zuspitzende „soziale Frage“, die katastrophalen Lebensbedingungen des Proletariats ließen Merton nicht zur Ruhe kommen. Wegen seines außergewöhnlichen Engagements für die Armen und Schwachen der Gesellschaft nannte ihn der britische Historiker jüdisch-deutscher Herkunft Werner E. Mosse retrospektiv einen „Wohlfahrtskapitalisten“.
Mertons Streben nach Recht und Gerechtigkeit führte zur Gründung eines umfangreichen Netzwerks überkonfessionell agierender Bildungs- und Sozialeinrichtungen in der Mainmetropole: Zwischen 1890 und 1914 entstanden das Institut für Gemeinwohl, die Centrale für private Fürsorge, die Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften, das Soziale Museum und schließlich die Frankfurter Stiftungsuniversität. Unter den Stiftern der Universität stand Merton mit einem Beitrag von 2,3 Millionen Reichsmark zum Stiftungskapital an erster Stelle. Die Frankfurter Universität wurde die erste nichtstaatliche und somit unabhängige Hochschule des Kaiserreiches und zugleich die einzige Universität in Preußen, an der Wissenschaftler jüdischer Herkunft auf Lehrstühle berufen werden konnten.
Familie
Im Jahr 1877 folgte die Heirat mit der Frankfurter Bankierstochter Emma Ladenburg (1859-1939). Die Eheleute bekamen vier Söhne und eine Tochter: Alfred (1878-1954), Walter Henry (1880-1967), Richard (1881-1960), Adolf (1886-1914) und Gerta (1894-1968, später verh. von Bissing). Die Kinder wurden nach der Geburt evangelisch getauft; die Eltern konvertierten 1898 zum protestantisch-reformierten Bekenntnis. In seinen autobiografischen Fragmenten schrieb Merton, dass er sich bereits in der Schulzeit am Städtischen Gymnasium vom Judentum losgesagt hatte. Besonders lehnte der junge Mann die strengorthodoxe Lebensweise der Großmutter ab. Bis auf den promovierten Kunsthistoriker Adolf Merton, der 1914 als Soldat im Ersten Weltkrieg fiel, arbeiteten alle Söhne im Metallgeschäft. Richard Merton kehrte nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem englischen Exil nach Frankfurt zurück und widmete sich dem Wiederaufbau der Metallgesellschaft, deren Aufsichtsratsvorsitzender er von 1950 bis 1955 war.
Merton und Corporate Social Responsibility
Einige der Gründungen Mertons bestehen und wirken heute noch , etwa die Goethe-Universität und das Bürgerinstitut e.V., letzteres 1899 von Wilhelm Merton als Centrale für soziale Fürsorge ins Leben gerufen. Doch nur selten werden die Einrichtungen mit dem Großindustriellen in Verbindung gebracht.
Art. 14 (2) Grundgesetz"Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen."
Merton war ein Vordenker und Pionier: Seine unermüdliche Tatkraft berührte früh die Frage nach gesellschaftlicher Verantwortung des Unternehmertums; Corporate Social Responsibility, kurz CSR, die heute angesichts zunehmender sozialer und ökonomischer Ungleichheit in Deutschland und weltweit besonders aktuell ist.
Die fünf Themen der Kabinettausstellung
- Der Großunternehmer
- Der Sozialreformer
- Der Familienpatriarch oder: Merton privat
- Versuchte Auslöschung des Mertonschen Erbes 1933-1945
- Unternehmerisch-soziales Vermächtnis
Die Ausstellung im Lichtbau des Jüdischen Museums ergänzten in kleiner Auswahl Fotografien von Lena Bils und Johanna Schlegel. Die Künstlerinnen aus der Fotoklasse der HfG Offenbach von Professor Martin Liebscher widmeten sich in ihren Projekten der visuellen Rezeption des nach 1933 zerstörten Porträtgemäldes „Wilhelm Merton“ von Julius Hülsen bzw. der Kopie von Walter Petersen (1906) – eine Leihgabe des Historischen Museums Frankfurt – sowie den umweltzerstörenden Hinterlassenschaften des Erzabbaus am Beispiel der australischen Bergwerkssiedlung Broken Hill. Vom 21. Juli bis 27. August 2023 wurden alle fotografischen Ergebnisse unter dem Titel HIT PAY DIRT in der Frankfurter Ausstellungshalle basis e. v. präsentiert. Mehr dazu
Vertiefung der Themen:
Fedor Besseler, Wilhelm Merton als „Homo politicus“? Eine Annäherung
Zur Ausstellungseröffnung erschien die Publikation:
Christoph Sachße (Hrsg.), Wilhelm Merton in seiner Stadt. Gedenkband zum 175. Geburtstag, Leipzig 2023, 300 S.
Kuratorin: Heike Drummer
Co-Kurator: Fedor Besseler
Projektbegleitung: Reinhard Oswalt
Team Bildung und Vermittlung: Dr. Türkân Kanbiçak, Arwin Mahdavi Naraghi, Schima Memarpuri, Wassili Brassat
Gestaltung: Karl-Heinz Best, mind the gap! design, Meike Schermelleh, studio schermelleh
Ausstellungsdokumentation
Ausgewählte Texte und Bilder der Schau „Metall & Gesellschaft. #WilhelmMerton“ finden Sie hier. Wir wünschen eine anregende Lektüre!
Ansprechpartnerin
Medienpartner der Ausstellung: Frankfurter Allgemeine Zeitung
Ausstellungsort:
Jüdisches Museum Frankfurt
Heute geöffnet: 10:00 – 18:00
- Museumsticket (Dauerausstellung Jüdisches Museum+Museum Judengasse) regulär/ermäßigt12€ / 6€
- Kombiticket (Wechselausstellung + Museumsticket) regulär/ermäßigt14€ / 7€
- Wechselausstellung regulär/ermäßigt10€ / 5 €
- Familienkarte20€
- Frankfurt Pass/Kulturpass1€
- Am letzten Samstag des MonatsFrei
(ausgenommen Teilnehmer gebuchter Führungen)
- Eintritt nur Gebäude (Life Deli/Museumshop/Bibliothek)Frei
Freien Eintritt genießen:
Mitglieder des Fördervereins
Geburtstagskinder jeden Alters
Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre
Studenten der Goethe-Uni / FH / HfMDK
Auszubildende aus Frankfurt
Geflüchtete
Inhaber von Museumsufer-Card oder Museumsufer-Ticket
Inhaber der hessischen Ehrenamts-Card
Mitglieder von ICOM oder Museumsbund
Ermäßigung genießen:
Studenten / Auszubildende (ab 18 Jahren)
Menschen mit Behinderung ab 50 % GdB (1 Begleitperson frei)
Wehr- oder Zivildienstleistende / Arbeitslose
Inhaber der Frankfurt Card
Bertha-Pappenheim-Platz 1, 60311 Frankfurt am Main