Chanukka-Leuchter im Museum Judengasse Frankfurt

Zum Chanukka-Fest

Zwei herausragende Chanukka-Leuchter aus unserer Sammlung
Porträt von Eva Atlan
09. Dezember 2024Eva Atlan

Rund 800 Objekte befinden sich in der Judaica-Sammlung des Jüdischen Museum, darunter zwei prächtige Chanukka-Leuchter aus der Frankfurter Judengasse. Zum diesjährigen Lichterfest stellt Dr. Eva Atlan, stellvertretende Museumsdirektorin, diese zwei Objekte vor.

Chanukka Leuchter von Valentin Schüler

Chanukka-Leuchter von Valentin Schüler, 17. Jahrhundert, zu sehen im Museum Judengasse Frankfurt
Chanukka-Leuchter von Valentin Schüler, 17. Jahrhundert, zu sehen im Museum Judengasse

Dieser reich verzierte Chanukka-Leuchter aus dem 17. Jahrhundert stammt aus der Frankfurter Judengasse und wurde vom Silberschmied Johann Valentin Schüler geschaffen. Einst war er ein Hochzeitsgeschenk für ein junges Brautpaar. Aber sehen wir ihn uns zunächst einmal näher an.

Der Leuchter steht auf vier Löwenfüßen, auf seinem Schaft sind vier geflügelte Engelsköpfe zu sehen. Unter den Ölnäpfen ist je ein Glöckchen angebracht, hinter jedem Ölnapf ist ein Baum angebracht. Vorne könnt Ihr Eichhörnchen, Hirsche, Adler und Pelikane sehen. Was es mit diesen Tieren auf sich hat, erfahrt Ihr weiter unten im Text.

Auch Figuren aus der Antike sind auf dem prächtigen Leuchter dargestellt: In der Mitte steht der Kämpfer Juda Makkabi, Anführer des jüdischen Makkabäeraufstands im 2. Jh. V.d.Z.. Bekrönt wird er von Judith mit dem Haupt des Holofernes, deren Geschichte im Buch Judith erzählt wird. Obwohl dieses Buch keinen Eingang in den Kanon der jüdischen Bibel fand, spielt es in den rabbinischen Schriften und im jüdischen Ritus, insbesondere zu Chanukka, eine wichtige Rolle. Es erzählt von der Errettung der Israeliten während der Belagerung durch die Assyrer. Demnach begab sich die junge Witwe Judith in das feindliche Heerlager und betörte den Feldherrn Holofernes, der sie verführen wollte. Während er betrunken in seinem Zelt lagt, schlug Judith ihm den Kopf ab. Die entsetzten Feinde zerstreuen sich, die Israeliten waren gerettet.

Seit der Renaissance ist Judith, die Holofernes tötet, ein beliebtes Bildthema auch unter nicht-jüdischen Künstlern. In der christlichen Auslegung wurde Judith bisweilen als Personifikation der Kirche und der Gegenreformation, aber auch als typologische Vorläuferin der Jungfrau Maria interpretiert. In der Kunst steht sie für das Spannungsfeld von Erotik und Gewalt und im feministischen Diskurs schließlich für weibliche Selbstermächtigung. In unserer vergangenen Ausstellung „Rache. Geschichte und Fantasie“ haben wir Judith bereits eingehend behandelt.

Nun aber zurück zum Chanukka-Leuchter von Johann Valentin Schüler: Ein solch prächtiger Leuchter wurde sicher nicht nur zum Chanukka-Fest benutzt, sondern diente das ganze Jahr über als prächtiger Zimmerschmuck. Der Silberschmied hat mehrere Leuchter dieses Typs geschaffen. Aber nur dieser Leuchter zeigt Tierfiguren auf der Lichtleiste. Wieso das so ist?

Schabbat-Lampe von Valentin Schüler aus der Sammlung des Jewish Museum New York
Schabbat-Lampe von Valentin Schüler aus der Sammlung des Jewish Museum New York.

1681 fand in der Judengasse eine große Hochzeit statt. Der Bräutigam Mosche Speyer wohnte im Haus Goldener Hirsch. Damals hatten alle Häuser der Judengasse solch klangvolle Namen. Wahrscheinlich beziehen sich die anderen Tiere auf Familienmitglieder der Braut und des Bräutigams und deren Häuser. Zum Leuchter gehört eine Schabbat-Lampe, die sich heute in New York befindet. In der Frankfurter Judengasse waren »Lampe, Leucht und Becher« traditionelle Hochzeitsgeschenke: Schabbatlampe, Chanukka-Leuchter und Kiddusch-Becher stellten die religiöse Grundausstattung für das junge Ehepaar dar. 

Provenienz des Schüler-Leuchters

Die Provenienz, das heißt die Herkunft des Schüler-Leuchters, konnten wir vom Auftraggeber bis zum letzten Besitzer zurückverfolgen. Dabei haben wir im Rahmen der Neukonzipierung der Dauerausstellung im Jüdischen Museum viel Neues erfahren. Das Deutsche Zentrum Kulturgutverlust förderte zudem zwischen 2018 und 2022 ein Provenienzforschungsprojekt mit Dr. Linda Wiesner, bei dem sie neue Erkenntnisse zutage förderte.

Unter Provenienzforschung versteht man die Erforschung der Herkunft eines Objekts: Wer hat es angefertigt? Wer waren die früheren Besitzer? Gibt es evtl. einen Bezug zu Kunstraub und Enteignung während des NS-Regimes? Eine besondere Rolle spielt Provenienzforschung auch im Zusammenhang mit Objekten, die im Zeitalter des Kolonialismus nach Europa gelangt sind.

Judaica im Depot des Jüdischen Museums

Der Leuchter ist als Familienerbstück über Generationen hinweg bewahrt worden. 1909 vermachte ihn die Stifterin und Mäzenin Franziska Speyer (1844-1909) dem Historischen Museum der Stadt Frankfurt. Das Historische Museum verlieh den Leuchter dann an das Museum Jüdischer Altertümer, als dieses 1922 eröffnet wurde. 1938 wurden die Bestände des Museums Jüdischer Altertümer durch die Gestapo beschlagnahmt, das Museum verwüstet. Dem Historischen Museum gelang es, die eigenen Leihgaben und weitere Kultgegenstände vor dem Einschmelzen zu bewahren. Die große Mehrheit der Objekte wurde aber zerstört. 1988 wurde der Leuchter an das neu gegründete Jüdische Museum Frankfurt übergeben. Heute könnt Ihr das schöne Stück in unserem Museum Judengasse sehen.

Chanukka Leuchter vom Meister Johann Fridolin Schultheiss?

Chanukka-Leuchter aus dem Museum Judengasse Frankfurt
1994 im Kunsthandel erworbener Chanukka-Leuchter mit barockem Bühnen-Arrangement

1994 haben wir im Kunsthandel den hier abgebildeten außergewöhnlichen Chanukka-Leuchter erworben. In dem Exposé von Prof. Dr. Annette Weber, damals Kuratorin an unserem Museum, das sie zur Untermauerung des Ankaufs verfasst hat, lesen wir hierzu:

„Unter den bisher bekannten Chanukka-Leuchtern deutscher Meister nimmt dieses Objekt eine besondere Stellung ein, da es der einzige Fall ist, in dem die Leuchterbank, die sich unmittelbar über den Löwenfüssen befindet, mit einem ganzen Bühnenprospekt als Rückwand verbunden ist, der die Ereignisse der Wiederweihe des Tempels szenisch darstellt. (…) In die Sammlung des Jüdischen Museums fügt sich dieser Leuchter in mehrfacher Hinsicht hervorragend ein: es ist, wie auch einige Frankfurter Judaica, ein hochindividuelles Stück, das offensichtlich dem jüdischen Auftraggeber in besonderen Maße Rechnung trägt und es stellt deshalb eine hervorragende Parallele zu dem berühmten Schüler-Leuchter dar [gemeint ist der Chanukka-Leuchter von Johann Valentin Schüler (1650-1720)]“ (17.05.1994). 

Chanukka-Leuchter in der früheren Dauerausstellung des Jüdischen Museums Frankfurt
Chanukka-Leuchter in der früheren Dauerausstellung des Jüdischen Museums

Bis 2015 zeigten wir den Leuchter als Teil der früheren Dauerausstellung „Jüdisches Leben“ in einer großen Wandvitrine zusammen mit rund 50 anderen historischen Chanukka-Leuchtern. Seit der Neueröffnung des Museum Judengasse 2016 steht er in einer Vitrine zusammen mit dem Chanukka Leuchter von Valentin Schüler.

Ein barockes Bühnen-Arrangement

Der Chanukka Leuchter wurde bisher auf die Jahre um 1790 datiert, sein Silberschmied identifiziert als Meister Johann Fridolin Schultheiss. Der Leuchter ist in Form eines sogenannten Bankleuchters gestaltet, mit einer Bank für die Ölnäpfe.

Die Rückseite bildet ein klassisches Tempelgebäude mit einer bühnenartigen Szenerie. Oben, in dem dreieckigen Giebel, seht Ihr abermals eine Darstellung von Judith und Holofernes als Relief. Die zwei Figuren im unteren Bereich des Leuchters stellen die Propheten Moses und Aaron in einem Tempelraum dar. Verschiedene Medaillons sind mit Segenssprüchen versehen. Der vielfältige Schmuck aus Schmucksteinen, sog. Gemmen, trägt teilweise weitere Bildszenen. Der Leuchter befindet sich in einem sehr guten Zustand, auf der Bank fehlen jedoch die acht Ölnäpfe.

Von Meister Schultheiss sind sonst nur Arbeiten für den kirchlichen Gebrauch bekannt. Dass ihm trotzdem dieser Leuchter zugeschrieben wurde, geht auf die Vermutung zurück, dass der Leuchter von einem Koblenzer Juden in Auftrag gegeben wurde.

Provenienz des Leuchters

Was wissen wir nun über Provenienz, sprich die Herkunft und die früheren Besitzer dieses Leuchters?

Über die verschiedenen Vorbesitzer gibt es fast keine Informationen und in anderen Sammlungen ist auch kein vergleichbares Stück bekannt. Als letzten Vorbesitzer nennt die Objektdokumentation des Jüdischen Museums Frankfurt die Sammlung Michael, ehemals Frankfurt, heute USA. Jakob Michael (1894-1979) stammte aus Frankfurt und war während des Nationalsozialismus über Holland als Zwischenstation in die USA geflohen. Dort baute er eine bedeutende Judaica-Sammlung auf, aus der er im Verlauf mehrerer Jahre dem Israel Museum in Jerusalem eine Vielzahl außergewöhnlicher Objekte schenkte. Sein Sohn Jakob setzte diese Sammeltätigkeit nach seinem Tode fort, auch er schenkte dem Israel Museum wertvolle Objekte. Wie und wann der Leuchter in die Sammlung Michael kam, ist nicht bekannt.

Eine neue Spur ergab sich, als 2017 die Judaica-Expertin Dr. Felicitas Heimann-Jelinek im Zydowski Instytut Historyczny (ZIH) in Warschau eine Fotodokumentation aus dem alten Jüdischen Museum Berlin sichtete, dessen Bestand größtenteils verschollen ist. Dabei entdeckte sie zufällig das Foto eines verblüffend ähnlich aussehenden Leuchters mit dem Vermerk „Slg. Flechtheim“. Der abgebildete Leuchter verfügt noch über die heute fehlenden Ölnäpfe. Zwischen dem Leuchter im Museum Judengasse und demjenigen auf dem Foto bestehen kleine Abweichungen in der Dekoration auf der Rückenplatte. Da zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt war, dass der bekannte Kunstsammler und –händler Alfred Flechtheim auch Judaica sammelte, wurde zunächst bezweifelt, dass es sich um den bedeutenden Sammler handeln würde. Auch die Fotografien aus der Wohnung von Flechtheim in Düsseldorf zeigen keine jüdischen Zeremonialobjekte, die der privaten Nutzung oder Zierde hätten dienen können.  

Eine akribische Spurensuche

Abbildung eines barocken Chanukka-Leuchters in der Zeitschrift "Querschnitt" von 1924.
Abbildung des Chanukka-Leuchters in der Zeitschrift "Querschnitt" von 1924.

Selbst bei einem so außergewöhnlichen Stück und einer möglichen Spur zu einem der bekanntesten Kunsthändler der Weimarer Republik offenbart sich das Problem der dürftigen Quellenlage. 2020 tat sich eine neue Spur auf: die Kollegin Dr. Anna-Carolin Augustin, DHI Washington, verwies auf eine Abbildung, die sie bei der Durchsicht in Wolfgang Schefflers Nachlass gefunden hatte. Der Historiker und Politologe hat sich intensiv mit der Judenverfolgung während der Schoa beschäftigt. Handschriftlich hatte Scheffler auf der Abbildung vermerkt: „Querschnitt“ und „1924“. Der Querschnitt war die von Alfred Flechtheim herausgegebene Zeitschrift . Die Ausgabe der Zeitschrift, in der der Leuchter 1924 abgebildet worden war, konnte online gefunden werden. Erstaunlicherweise wird dort in der Bildunterschrift ein anderer Meister genannt: Johann Franz ⌈Sic!⌉ Schmit (?) (1742-1776).

Silberpunzen als hilfreiche Hinweise

Punze auf dem Chanukka-Leuchter mit den Initialen "IFS", fälschlicherweise lange Zeit dem Silberschmied Johann Fridolin Schultheiss zugeschrieben.
Punze auf dem Chanukka-Leuchter mit den Initialen "IFS", fälschlicherweise lange Zeit dem Silberschmied Johann Fridolin Schultheiss zugeschrieben.

Dass der im Querschnitt-Katalog genannte Silberschmied die gleichen Initialen trägt wie Johann Fridolin Schultheis legt nahe, dass es bei der Zuschreibung eine Verwechslung gab: In der einschlägigen Literatur für Punzen (das sind individuelle Stempel, die Silberschmiede auf ihren Werken anbringen) findet sich für Mainz unter der Nummer 3350 die Angabe „Wahrscheinlich Johann Frantz Schmitt, Meister 1724, Tod 1776. Die abgebildete Punze zeigt die Buchstaben IFS im Kreis, bzw. Oval. Ein Blick auf den Leuchter im Jüdischen Museum Frankfurt zeigt als Punze ebenfalls diese 3 Buchstaben im Kreis/Oval. Schultheis wird bei Rosenberg aber nicht aufgeführt. Es ist davon auszugehen, dass die Verwechslung durch die Angabe des Stadtarchivs Koblenz entstand, das den Namen Johann Fridolin Schultheiss nannte – und dieser Name wurde dann auch im Auktionskatalog 1994 übernommen.

Auch ein vormaliger Besitzer des Stückes wird unter der Aufnahme im Querschnitt-Katalog aufgeführt: Familie Marks-Haindorf (Loeb), Hamm i. W. Es handelt sich hier um die Loebsche Sammlung, die 1919 aufgelöst wurde, wobei einzelne Werke in verschiedene Museen und in Privatbesitz zerstreut wurden.

Es ist zu vermuten, dass der Leuchter, der sich heute im Museum Judengasse befindet, tatsächlich derselbe Leuchter ist, der im Querschnitt-Katalog bei Flechtheim zum Verkauf angeboten wurde und von Jakob Michael erworben wurde. Und wir konnten nun mit Blick auf die Punze Johann Frantz Schmitt als Silberschmied und Erschaffer dieses schönen Leuchters identifizieren. Damit müssen wir aber auch die Datierung vorziehen auf etwa 1770.

Mit diesem Deep Dive zu zwei besonderen Chanukka-Leuchtern aus unserer Sammlung wünsche ich allen wünsche ich allen Chag Sameach, ein schönes Chanukkafest!

Noch keine Kommentare. Diskutieren Sie mit.

Ihr Kommentar

* / Plichtfelder