Die Frankfurter Künstlerin Erna Pinner hat 1939 Illustrationen zum zweiten Teil des weltberühmten Bambi-Romans gezeichnet. Dazu ein Gespräch zwischen Eva Atlan, Annika Friedman und Dennis Eiler, den Kurator:innen unserer Ausstellung "Zurück ins Licht".
In unserer Ausstellung „Zurück ins Licht. Vier Künstlerinnen – Ihre Werke. Ihre Wege“ (bis 29. Mai.2023) zeigen wir eine kleine Auswahl von neun Publikationen, die Erna Pinner (1890 Frankfurt a.M. – 1987 London) seit ihrer Emigration nach London 1935 entweder illustriert oder auch als Autorin und Illustratorin selbst veröffentlicht hat. Erna Pinner hatte sich nach ihrer erzwungenen Emigration in ihrer künstlerischen Arbeit neu orientieren müssen. Tiere blieben weiter ihr Hauptmotiv, nun jedoch arbeitete sie zunächst als Illustratorin für zoologische Publikationen. Später wurde sie, nachdem sie sich intensiver mit Verhaltensforschung von Tieren beschäftigt hatte, auch als Autorin tätig. Insgesamt war sie bis zu ihrem Tod an 32 Publikationen beteiligt
Auf eine der frühen Publikationen möchten wir hier näher eingehen, da es vielschichtiger ist, als es auf den ersten Blick erscheinen mag: „Bambi’s Children. The Story of a Forest Family“ von Felix Salten, mit Illustrationen von Erna Pinner, erschienen 1939 im Bobbs - Merrill Verlag (Indianapolis/New York), aus dem Englischen übersetzt von Barthold Fles. Es handelt sich hier um den heute weniger bekannten zweiten Teil der Geschichte von „Bambi. A Life in the Wood“, das Felix Salten zunächst beim Berliner Ullstein Verlag (1922) und dann beim Wiener Verlag von Paul Zsolnay (1926) herausgegeben hatte.
Wie wichtig dieser Auftrag zu diesen Illustration für Erna Pinner war, kann man aus ihrem Brief an Salten vom 20. Oktober 1939 herauslesen: „Vor allem möchte ich Ihnen danken, dass Sie mir die Gelegenheit geben nach vielen Jahren wieder eine Arbeit auszuführen zu der ich wirklich eine innere Beziehung gewonnen habe. Sie haben die große Kunst eine Welt der Innigkeit und Beseeltheit zu gestalten, die in ihrer franziskanischen Schlichtheit ungemein beglückend wirkt. Es war ein doppeltes Erlebnis, gerade in diesen schicksalsschweren Wochen, mich in Ihre Welt zu verlieren“ (Anm.: Quelle: aus dem Nachlass Salten in Wien (WBR, HS, Nachlass Salten, ZHP 1681, Archivbox 8, 2.1. 436) Dank an Barbara Weidle/Marcel Atze für den Hinweis.).
Eva Atlan: Zunächst zu Felix Salten: Wer war er?
Dennis Eiler: Der jüdische Schriftsteller, Theaterkritiker und Filmemacher Felix Salten wurde 1869 in Ungarn als Siegmund, bzw. Zsiga Salzmann geboren. Kurz nach seiner Geburt zog seine mittellose Familie nach Wien. Ohne Schulabschluss arbeitete Salten noch als Jugendlicher zunächst in der Versicherungsbranche, bis er mit 19 Jahren sein erstes Gedicht veröffentlichte. Im Jahr darauf wurde er von der Autorengruppe Jung-Wien aufgenommen und kam in Austausch mit Literaten wie Hugo von Hofmannsthal, Karl Kraus oder mit Arthur Schnitzler, mit dem er auch persönlich befreundet war.
Salten, der als talentierter Alleskönner galt, verdiente von nun an seinen Lebensunterhalt durch vielseitige schriftstellerische und journalistische Beiträge mit sozialkritischem Anklang. Er wird zum Beispiel als der Urheber des skandalösen Romans über die Prostituierte Josefine Mutzenbacher gehandelt, in dem der Erzähler mit der heuchlerischen Sexualmoral seiner Zeitgenossen abrechnet.
'Er erfindet keine Motive; sieht das Leben, die Schicksale, sieht es mit Dichteraugen und bildet es.' schrieb Max Schacherl 1909 über ihn. (Max Schacherl, Felix Salten, in Ost und West: illustrierte Monatsschrift für das gesamte Judentum, Jg. 9, Heft 12 (Dezember 1909), S. 741-744).
Während seiner Zeit als Präsident der P.E.N.-Vereinigung, in der später auch Erna Pinner Mitglied war, beteiligte er sich an mehreren Tonfilmproduktionen, u.a. mit Billy Wilder.
Über die Grenzen Österreichs hinaus bekannt wurde Salten, der selbst Jäger war, aber erst mit seinen Tiergeschichten, zu denen auch Bambi und Bambis Kinder gehören. Übertragen auf Tierfiguren, konnte Salten seine Beobachtungen aus dem politischen und gesellschaftlichen Alltag, auch die des zunehmenden Antisemitismus, literarisch umsetzen. Heute oft als Tierschutz-Appell verstanden, galt der Roman Bambi seiner Zeit als Anti-Nazi-Propaganda und fiel den Bücherverbrennungen von 1933 zum Opfer. Bambis Kinder schrieb Salten im Exil in der Schweiz.
Dennis Eiler: Und wie kam nun zu dem Kontakt von Erna Pinner und Salten?
Eva Atlan: Erna Pinner kannte schon den Verlag Paul Zsolnay, Wien, aus ihrer Frankfurter Zeit. Zsolnay selbst musste nach der Annexion („Anschluss“) Österreichs durch Hitler-Deutschland mit seiner Frau, der Bildhauerin Anna Mahler (1904-1988), und Tochter emigrieren, auch sie gingen nach London. Dort trafen sie Erna Pinner, die mit Anna befreundet war, immer wieder. Im Frühjahr 1939 regte Paul Zsolnay eine Fortsetzung von Saltens Beststeller Bambi an, er schreibt: „Ich glaube den Wunsch aller Leser des „Bambi“ und auch aller Verleger des Bambi anzusprechen, wenn ich dich bitte, eine Fortsetzung dieses Buches zu schreiben. Ich stelle mir vor, dass du das Leben eines männlichen oder weiblichen Nachkommen Bambis schilderst. Im Titel oder Untertitel müsste der Name Bambi vorkommen. (…)“ (aus: Marcel Atze, Im Schatten von Bambi. Felix Salten entdeckt die Wiener Moderne, 2020, S. 234).
Eva Atlan: Aber wie kam es eigentlich, dass Bambi so erfolgreich war?
Annika Friedman: Wenn man Bambi hört, denken die meisten Menschen automatisch an Walt Disneys Filmklassiker von 1942, aber Bambi war keineswegs eine Erfindung von Disney. Der Film selbst war eine abgemilderte Version des Romans von Felix Salten aus dem Jahr 1922, der die harte, bisweilen bittere Realität des Lebens im Wald schildert. Der Autor Felix Salten, der österreichisch-jüdische Journalist und Verfasser des Originals "Bambi: Eine Geschichte vom Leben im Wald" war auch eine Erzählung über den Antisemitismus der damaligen Zeit.
Ein ganzes Jahrhundert nach seiner ursprünglichen Veröffentlichung (auf Deutsch) hat der Herausgeber der Reihe "Oddly Modern Fairy Tales" der Princeton University Press, Jack Zipes, eine neue Ausgabe des Romans herausgebracht, in der die größeren, verwickelten politischen und moralischen Botschaften wieder in den Vordergrund gerückt wurden. Salten spielte in seinem Roman elegant mit wortgewandten Formulierungen und vor allem mit vielschichtiger Symbolik und Zipes erläutert, dass Saltens Werk "eine Allegorie über die Schwachen und Machtlosen in der Welt" ist und eigentlich nie ausschließlich für Kinder gedacht war.
Trotz des anfänglichen kommerziellen Erfolgs von Bambi erlaubte Salten 1928 die Übersetzung ins Englische durch Whittaker Chambers, dessen Kenntnisse des österreichischen Deutsch begrenzt waren. Es war eine fehlerhafte Übersetzung, die nicht nur die wahre Bedeutung der Worte verfehlte, sondern auch mehrere Schlüsselbotschaften ausließ. Salten verkaufte die Filmrechte 1933 für nur 1.000 US-Dollar an den amerikanischen Metro-Goldwyn-Mayer (MGM) Regisseur Sidney Franklin der den Roman ursprünglich in einen Realfilm umwandeln wollte, entschied aber nach jahrelangen Versuchen, dass dies doch zu schwierig sein würde. Daraufhin verkaufte er die Rechte im April 1937 an Walt Disney.
Mitten im Zweiten Weltkrieg, am 9. August 1942, wurde Bambi veröffentlicht. Disney selbst kommentierte: "Als wir den Film herausbrachten und es einen Krieg gab interessierte sich niemand für das Liebesleben eines Rehs." Aber die Welt hat sich seitdem in Disneys Version von Bambi verliebt. Es wurde einer der erfolgreichsten Disney-Filme aller Zeiten, obwohl oder vielleicht gerade weil er fast völlig aus dem ursprünglichen Kontext gerissen wurde. Saltens Name wurde damit von seinem berühmtesten Werk weitgehend losgelöst.
Annika Friedman: Wäre der zweite Teil von Bambi, "Bambi’s Children", nicht fast ohne Erna Pinners Illustrationen erschienen?
Eva Atlan: In der Tat, Felix Salten schreibt in einem seiner Briefe an Paul Zsolnay, dass er sein Buch auch ohne Illustrationen von Erna Pinner herausgeben würde: „Bambi (…) wurde ohne Bilder best-seller und wenn seine Kinder etwas taugen, werden sie auch ohne Bilder Absatz finden. Spätere Auflagen können dann mit Illustrationen erscheinen, wie das ebenso mit ihrem Vater Bambi geschah“. (Marcel Atze, Im Schatten von Bambi. Felix Salten entdeckt die Wiener Moderne, 2020, S.237).
Laut eigenen Aussagen von Pinner war sie nicht in Verzug mit der Abgabe ihrer Zeichnungen und so erschien das Buch Bambi’s Children pünktlich 1939 zum Weihnachtsgeschäft.
In der Ausstellung „Zurück ins Licht. Vier Künstlerinnen – Ihre Werke. Ihre Wege“, die noch bis zum 29. Mai zu sehen ist, sind zahlreiche Tierillustrationen zu sehen, die unter anderem als Vorlage zu Bambi’s Children dienten.
Noch keine Kommentare. Diskutieren Sie mit.
Ihr Kommentar