Berlin, Paris, Ibiza

Auf den Spuren des Frankfurter Künstlers Hans Rot
Porträt von Franziska Krah
22. Juli 2025Franziska Krah

Am 22. Juli 1905 kam Hans Rot auf die Welt. Anlässlich seines 120. Geburtstages erinnert Sammlungskuratorin Franziska Krah an den heute weithin vergessenen Künstler aus Frankfurt am Main.

Hans Rot mit seinen Eltern und seinem jüngeren Bruder Hermann Rothschild in Frankfurt um 1915.
Hans Rot mit seinen Eltern und seinem jüngeren Bruder Hermann Rothschild in Frankfurt um 1915.

Hans Rot kam in einer bürgerlichen Familie in Frankfurt am Main zur Welt. Sein Vater Otto Rothschild (1872–1940) war zwar kein Spross der weltbekannten Bankiersfamilie, sorgte als Chirurg und Unfallmediziner aber für eine sichere Existenz der Familie. Otto Rothschild war ebenso wie seine Frau Hanna, geborene Lachmann (1885–1940), in Frankfurt aufgewachsen. Ein handgeschriebenes Album erinnert an die ersten Jahre von Hans Rot –  an eine Zeit, lange bevor er seinen Namen Rothschild auf Rot kürzte. Betitelt mit „Unser Hans“, schildert seine Mutter Hanna darin nicht nur das Heranwachsen von Hans, sondern auch des jüngeren Bruders Hermann. Ihr erster Eintrag lautet:

Otto und Hanna Rothschild

Unser Hans ist geboren Samstag, den 22. Juli 1905 um 7 ½ Uhr. Wie er die Welt bei seiner Geburt mit lautem Schreien begrüßte, so schrie er sie leider auch weiterhin nur zu häufig an, und störte so oft die Nachtruhe des armen Vaters.

Die im Album und in Familienbriefen überlieferten Details aus dem Familienalltag zeugen von einer Familie, die ein großes Netzwerk an Freundschaften, Bekanntschaften und Verwandtschaften hatte. Es war eine Familie, die häufig Theater, Konzerte und Oper besuchte und gerne las. Vor allem trat aber eine musikalische Begabung in der Familie zutage. Hanna Rothschilds Schwestern Susanne Lachmann (1888–1967) und Margarete Hoff (1890–1970) waren beide Berufsmusikerinnen. Während Susanne Violine in klassischen Streichquartetten Hamburgs spielte, arbeitete Margarete als Cellistin sowie als Cello- und Klavierlehrerin.

Auch die beiden Brüder Hans und Hermann Rothschild waren sehr musikalisch: Hans spielte Violine, Hermann begann mit dem Klavier und wechselte später zum Cello. Beide spielten viele Jahre in Streichquartetten und traten regelmäßig öffentlich auf. In seiner Kindheit und Jugend verfasste Hans außerdem gern Gedichte, von denen seine Mutter einige in ihrem Erinnerungsalbum wiedergibt.

Anfänge in Frankfurt

Zeichnung des 11-jährigen Hans Rothschilds während des Ersten Weltkriegs.
Zeichnung des 11-jährigen Hans Rothschilds während des Ersten Weltkriegs.

Neben der Musik begeisterte sich Hans Rothschild schon früh für die Bildende Kunst. Aus seiner Kindheit sind mehrere Bilder erhalten, die er selbstbewusst signierte. Auch seine Mutter hielt im Erinnerungsalbum fest, dass sich bei Hans schon in jungen Jahren eine vielseitige künstlerische Begabung zeigt, gleichzeitig beschrieb sie ihn als schwieriges Kind, das häufig krank war.

Hans Rot: „Geburtstagskind“. Zeichnung aus einem selbstgestalteten Heft anlässlich des 49. Geburtstags seines Vaters Otto Rothschild, 1921.
Hans Rot: „Geburtstagskind“. Zeichnung aus einem selbstgestalteten Heft anlässlich des 49. Geburtstags seines Vaters Otto Rothschild, 1921.

Spätestens mit 16 Jahren begann Hans Rothschild damit, für seine Familienangehörigen zu besonderen Anlässen wie dem Geburtstag oder Weihnachten kleine Hefte zu gestalten. Fantasie- und humorvoll illustrierte er darin die beschenkte Person in ihren Charakterzügen und ihren Interessen. Gleichzeitig probierte er sich in verschiedenen Stilen und zeigte einen kreativen Sinn für die Typographie. Als Siebzehnjähriger beschrieb Hans in einem Brief an seine Tante Susanne Lachmann vom Zweifeln darüber, ob er ein Künstlerleben oder ein bürgerliches Leben führen solle. Er meinte, dass Künstlerblut in ihm stecke, doch:

Hans Rot (Brief vom 15.03.1923, Abschrift im Erinnerungsalbum)

Wenn mich jemand fragen würde, warum ich kein Maler würde, würde ich antworten: Weil ich Jude bin – Vielleicht verstehst Du, denn es sagt alles, was ich fühle.

Hans Rot vor seinen Zeichnungen. Datiert mit „Karlsruhe Juni“, ohne Jahr [um 1924].
Hans Rot vor seinen Zeichnungen. Datiert mit „Karlsruhe Juni“, ohne Jahr [um 1924].

Nach seinem Abitur am Frankfurter Goethe-Gymnasium ging er im Herbst 1924 für mehrere Wochen nach Karlsruhe. Aus dieser Zeit muss ein Foto von ihm stammen, das ihn mit Bildern und Pinseln – wie einen richtigen Künstler – zeigt. Anschließend begann er ein Studium der Kunst in Berlin und träumte von einer Karriere als Maler und Designer. Vermutlich noch während seines Studiums oder direkt nach seinem Abschluss ging er für ein Jahr nach Frankreich, wo er viel Zeit mit dem Malen und Zeichnen verbrachte.

Ausbildung und Arbeit in Berlin

Hans Rot versah seine Briefe gern mit kleinen Zeichnungen, wie dieser Brief an seine Eltern vom September 1931 zeigt.
Hans Rot versah seine Briefe gern mit kleinen Zeichnungen, wie dieser Brief an seine Eltern vom September 1931 zeigt.

Im Herbst 1929 zog er zurück nach Berlin, um dort ein Referendariat als Kunstlehrer zu beginnen. Kurz nach seiner Ankunft schreibt er seinen Eltern: „Berlin gefällt mir wieder sehr sehr gut.“ (10.10.1929) Im selben Brief berichtet er davon, wie ihm der Kunsthändler Alfred Flechtheim (1878–1937) dringend geraten habe, einen Künstlernamen anzunehmen. Andere Künstler mit jüdisch-assoziierten Namen hätten dies auch getan und erst dann geschafft, Bilder zu verkaufen. Nach kurzem Zögern entschloss er sich, diesem Rat zu folgen, und sein Onkel Felix Rothschild (1868–1962) unterstützte ihn als Richter bei der Namensänderung. Ab 1930 benutzte er auf seinen Werken und in Briefen den Namen Hans Rot.

Im November 1929 begann sein Referendariat als Kunstlehrer am Friedrich-Realgymnasium in Berlin-Neukölln. Die Schule beschrieb er in einem Brief an seine Eltern als „eine moderne kommunistische Versuchsschule“ (22.11.1929). Kurz darauf liefert er seinen Eltern Details:

Hans Rot (25.11.1929)

Mit der Schule habe ich wohl sehr grossen Dusel, der Ton ist sehr wenig bürokratisch, der Unterricht, ultramodern & interessant, die ganze Einstellung sehr künstlerisch. Eine neue 'may`sche' Schule wird gebaut, in die in einem Jahr umgezogen wird, der Direktor Carsen, olim Krakauer, als entschiedener Schulreformer ist sehr bekannt.

Doch kam durch das viele Unterrichten die Zeit für die Kunst zu kurz, so dass Hans Rot sich recht bald bei den Eltern über die diesbezüglich unproduktive Zeit beklagte. Hin und wieder traf er sich abends mit Freundinnen und Freunden aus dem Kunstschulstudium, um gegenseitig Modell zu sitzen und zu zeichnen. Daneben fand er an Wochenenden Zeit, um sich auszuprobieren, unter anderem berichtet er 1930 seinen Eltern von Versuchen, die ins Kubistische gehen. Inspiriert wurde er zudem von Ausstellungsbesuchen, insbesondere inspirierten ihn dabei Werke des französischen Künstlers Henri Matisse (1869–1954). Die meiste Zeit zum Zeichnen fand er während seiner Urlaubsreisen, wenn der Schulbetrieb ruhte. Im Sommer 1930 fuhr er von Hamburg mit dem Schiff nach Antwerpen und berichtet erfreut seinen Eltern: „Heute sind wir hier angekommen. Ich habe Dutzende Zeichnungen von hier gemacht. Es ist eine Mischung von Leuten wie in allen Häfen. Und wenn man die Umgebung des Hafens verlässt, ist man auf den großen Boulevards wie in Paris. Die gothischen Kathedralen, die wilden Restaurants u.s.w.“ (02.07.1930)

Er fertigte sowohl in Antwerpen als auch im weiteren Reiseverlauf– Le Havre, Bordeaux, Sables d`Olonne, Saxon-Sion, Lepardieux – zahlreiche Skizzen und Gouaches an, mit denen er recht zufrieden war. Hiervon haben sich einige Blätter erhalten. Aus seinen Briefen um 1929 und 1930 wird jedoch deutlich, dass er bereits in dieser Zeit auch an Ölgemälden arbeitete, die im Laufe der Zeit verschwunden sind und von denen sich möglicherweise keines erhalten hat.

Ein Großteil seines überlieferten Werks zeigt Motive seiner Reisen: Landschaften, Architektur und Personenskizzen. Darüber hinaus fertigte er Design-Entwürfe an und war mit einigen Auftragsarbeiten – Illustrationen, Typographie und Buchgestaltung – beschäftigt. In einem Brief an seine Eltern bringt er jedoch starke Unzufriedenheit mit der Auftragsarbeit zum Ausdruck:

„Ich scheine mir der unbegabteste ängstlichste Mensch, und bekomme ich es schliesslich auch mit Energie und Mühe zu stande, so finde ich es kümmerlich, entdecke zwar meist, dass der Abnehmer es nicht merkt, aber habe eine Sysiphusarbeit hinter mir, die mich unglücklicher macht, als hätte ich nichts getan. Meist schreibt der Kunde aber noch allerlei vor, was mir durchaus contrecoeur geht, etwas durchaus meiner Lehrweise entgegengesetztes und fremdes. Und dann könnte ich bei der Arbeit in die Luft gehen. Es fehlt mir jeder Masstab zu beurteilen, ob es gut ist oder schlecht, und wäre nicht der Termin der Ablieferung, ich arbeitete ewig dran rum.“ (Fragment eines undatierten Briefs)

Sein Traum war die Freie Kunst. 1929 hatte er die Gelegenheit eine Auswahl seiner Bilder in Hamburg auszustellen, die das Kunstblatt positiv beurteilte. Möglicherweise hatte ihm dies sein Bekannter, der Maler Ivo Hauptmann (1886–1973) ermöglicht, der als Gründungsmitglied in der Hamburgischen Sezession aktiv war.

Im Januar 1930 durfte er spontan in der Berliner Galerie des Kunsthändlers Alfred Flechtheim ausstellen, der seinerzeit als wichtiger Förderer avantgardistischer Kunst bekannt war. Seine vielversprechenden Erfolgsanfänge wurden jedoch von der politischen Lage getrübt. Im August 1930 äußert er sich sorgenvoll seinen Eltern gegenüber: „Was sich politisch in Deutschland tut ist, soweit die hiesigen Zeitungen darüber informieren, erschreckend und beängstigend! Neanmoins, bon courage (=Nichtdestotrotz, haben wir Mut!)“ (02.08.1930)

Im französischen Exil

Auf der Grundlage des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 wurde Hans Rot als Kunstlehrer von den städtischen Behörden zwangsweise entlassen. Daraufhin flüchtete er nach Paris. Da er bereits die französische Sprache und auch das Land gut kannte, war dies naheliegend. Doch erleichterte ihm dies nicht die Entwicklung hinsichtlich der schon in Berlin schwierigen finanziellen Situation. Zwar fand er einen Gönner im französischen Bankier und Kunstsammler Lionel Hauser (1868–1958), doch zerschlugen sich dessen Pläne, dem jungen Künstler eine Stelle in einem neu zu gründenden Werbebüro zu vermitteln. So hielt sich Hans Rot mit Auftragsarbeiten für Frankreich, England und Spanien über Wasser. Doch brachten ihn Aufträge wie für die französische Tageszeitung „Intransigeant“ oder die Kunstzeitschrift „Arts et Métiers Graphiques“, kaum das nötige Geld für die Miete zusammen und er war auf finanzielle Unterstützung seiner Eltern angewiesen, die jedoch aufgrund der Entlassung jüdischer Ärzte ebenfalls zu kämpfen hatten.

Undatierte Fotografie von Hans Rot
Undatierte Fotografie von Hans Rot

1934 erweitere Hans Rot seine Expertisen um die Fotografie, da er hoffte, damit Aufträge oder eine Stelle zu bekommen. Doch waren die Perspektiven in Paris insgesamt sehr schlecht, wie er seinen Eltern nach Frankfurt berichtete:

Hans Rot (05.12.1934)

Die Stimmung hier im Allgemeinen, unter Deutschen und Franzosen, ist schauerlich. Signacs Stiefsohn ist arbeitslos, es regnet Ausweisungen und Arbeitserlaubnisentziehungen. Trotzdem müsste ich mit meinen besonderen Fähigkeiten eigentlich unabhängig davon mich halten können.

Im Mai 1935 reiste Hans Rot nach London, um dort über Agenten an Aufträge zu kommen und in der Hoffnung, sich dort beruflich etablieren zu können. Bald kehrte er aber erfolglos zurück.

Ein rätselhaftes Ende in Ibiza

Das Hotel Ca-Vostra in Ibiza, um 1935. Fotograf:in unbekannt. Private collection. Courtesy of Anne Berthelot, Sculptor and Granddaughter of Lene Schneider-Kainer.
Das Hotel Ca-Vostra in Ibiza, um 1935. Fotograf:in unbekannt. Private collection. Courtesy of Anne Berthelot, Sculptor and Granddaughter of Lene Schneider-Kainer.

Bereits im Januar 1930 war Hans Rot ernsthaft erkrankt und musste fiebernd sowie mit Magen-Darm-Problemen mehrere Wochen in einem Berliner Krankenhaus verbringen.

1935 litt er erneut an einer Magen-Darm-Erkrankung und musste wohl wegen Darmverschlusses operiert werden. Nach der Operation und wochenlangem Krankenhausaufenthalt um den Jahreswechsel 1935/36 reiste er am 12. Januar 1936 von Paris über Barcelona nach Ibiza, um sich zu erholen und neu zu orientieren.

Nach Absprache mit seinem Freund Peter Kainer, mit dem er sich in Berlin angefreundet hatte, kam er im Gästehaus „Ca Vostra“ für geflüchtete Künstler:innen unter, die von Peter Kainers Mutter, der Künstlerin Lene Schneider-Kainer (1885–1971), geführt wurde.

Lene Schneider-Kainer kannte Hans Rot ebenfalls schon mindestens seit 1930. In Briefen an seine Eltern berichtet er mehrmals von ihr, die nach ihrer zweijährigen Weltreise wieder nach Berlin zurückgekehrt war. Er beschrieb sie als „entzückende, charmante, immensbegabte und kluge und hübsche Frau“ (28.11.1930). Seinen Großeltern schreibt er von einem bezaubernden Gesellschaftsabend bei Lene Schneider-Kainer: „Es wurde getanzt, L. S- K- erzählte viel und wunderbar von ihren asiatischen Reisen mit Kellermann, das Essen war trefflich und ein wunderbarer Likör“ (08.12.1930).

Ab 1933 betrieb Schneider-Kainer das Gästehaus, auf dessen Terrasse Hans Rot nun seinen ersten Brief an die Eltern in Frankfurt verfasste:

Hans Rot (Januar 1936)

Ich sitze hier auf der Terrasse des auf steiler Anhöhe über dem Hafen gelegenen Hotels, die zwar unter strahlend blauem Himmel sonnenbestrahlt wird, auf der aber trotzdem kaum eine vorfrühlingliche Temperatur herrscht.

Die Insel und ihre Bevölkerung wirkten anfangs sehr fremd auf Hans Rot, der kein Spanisch verstand. Auch an das Haus musste er sich gewöhnen: „Seltsame Mischung dies alles von orientalischer Lebensform, asiatischer Kultur und europäischem Comfort. Filmhaft- unwirklich wirkend wie Landschaft und Volk. Die Bewohner nicht weniger. Weitgereiste, Heimatlose, Europamüde, englisch- französisch- spanisch- deutsches Sprachgewirr. Grosser Whiskykonsum“. (21.01.1936)

Die ersten Tage verbrachte er inselerkundend, er aß gut, nahm zu und begann, sich Gedanken über seine Zukunft zu machen. Unter anderem überlegte er, Paris zu verlassen und nach London auszuwandern.

Hans Rot: „Ibiza II“. Tusche auf Papier, 1936
Hans Rot: „Ibiza II“. Tusche auf Papier, 1936

Nach einigen Tagen begann er, bei der Gästebedienung, Buchhaltung und den Festvorbereitungen zu helfen. Seiner Familie schreibt er vom Glück, nach langer Zeit wieder verliebt zu sein und eine wunderbare Zeit mit einer Frau aus England zu verbringen. Doch er wusste, es war ein Glück auf Zeit, denn sie war verheiratet. Am 9. März schreibt er seinen Eltern: „In 14 Tagen etwa werde ich trotzdem diesem paradiesischen Zustand ein Ende machen, voll Ungewissheit, was dann mit mir geschieht. Ich habe meine Wohnung bis 1. Juli behalten. Mag sein, dass ich dann mit Hilfe hier gewonnener Beziehungen eine Möglichkeit finde, in London mein Glück zu versuchen.“

Doch kurz vor seiner geplanten Rückkehr kam zu einem Unglück: Am Morgen des 18. März fand ein Bäckerlehrling seine Leiche auf der Straße. Es bleibt unklar, ob es sich bei seinem Tod um einen Suizid handelte oder ob er durch einen Unfall verursacht war. Den Abend hatte er Lene Schneider-Kainer zufolge noch in netter Gesellschaft verbracht. An seine Eltern berichtet sie:

„Was nun passierte, ist mir schleierhaft. Wollte er Luft schnappen? War ihm vielleicht schlecht? wollte er die Aussicht in Ruhe geniessen und war müde? Ist Ihnen bekannt, ob er im Schlaf wandelte? Um ½ 4 Uhr früh weckte uns die Polizei und frug, ob jemand vom Haus auf die Strasse fiel. Mein Manager ging mit den Leuten hinaus, konnte aber in der Dunkelheit und auch weil der Arme aufs Gesicht fiel, nicht [sofort] feststellen, dass der Verunglückte Hans war.“ (30.03.1936)

Otto und Hanna Rothschild, die nach wie vor in Frankfurt lebten, mussten sich nun um den Nachlass Hans Rots kümmern. Sie räumten sein Atelier in Paris und reisten nach Ibiza, auch, um Antworten auf ihre Fragen zu finden: war es ein Unfall oder Selbstmord?

Ihre Fragen blieben unbeantwortet, und so fokussierten sie sich auf das Werk, das ihnen ihr Sohn hinterließ. Am 4. November 1936 schickte Hanna Rothschild einen Brief an ihren Sohn Hermann und dessen Frau Lea, die ein Jahr zuvor ins Britische Mandatsgebiet Palästina ausgewandert waren. Sie berichtet ihnen vom Kustos vom Frankfurter Museum jüdischer Altertümer – Dr. Hermann Gundersheimer (1903–2004) –, der auf Besuch war, um sich die Zeichnungen von Hans Rot anzuschauen. Hanna schreibt:

„Zu unserer Genugtuung hat er nicht nur eine sichere Ausstellung in Aussicht gestellt, sondern uns auch das Recht gegeben, einen bedeutenden Teil der Zeichnungen [von Hans Rot] nach unserm Tod dem Museum zu hinterlassen. Natürlich müßt Ihr Euch mit unserm Wunsch einverstanden erklären. Ich habe jedenfalls das Gefühl, daß Hansens Lebenswerk für eine lange Zukunft dort am besten aufbewahrt ist, besser als wenn Ihr es in Palästina hättet und es dort doch wohl keine „bleibende Statt“ finden würde, wenn Ihr einmal diesem Erdenleben Valet sagt.“

Im März 1937 wurden Werke von Hans in einer vom Jüdischen Kulturbund kuratierten Ausstellung in Frankfurt am Main gezeigt. Es handelte sich um eine Gedächtnisausstellung, die bedeutende Werke verstorbener Frankfurter Künstler:innen zeigt. Neben Hans Rot(h) wurden Arbeiten von John Elsas (1851–1935), Heinrich Gottselig (1884–1935), Max Schüler (1849–1934) und Albert Gianini (1876–1937) gezeigt. Voll Freude berichtet Hanna Rothschild brieflich ihrem Sohn Hermann von der begeistert aufgenommenen Schau.

Ankündigung der Gedächtnis-Ausstellung auf der Zeil 114 in Frankfurt am Main.
Ankündigung der Gedächtnis-Ausstellung auf der Zeil 114 in Frankfurt am Main.

Zur Übergabe von Hans Rots Zeichnungen ans Museum ist es damals nicht mehr gekommen. Im Zuge der Novemberpogrome 1938 wurde das erste jüdische Museum in Frankfurt – das „Museum jüdischer Altertümer“ – verwüstet und schließlich zerstört. Ihre geschilderten Pläne mussten Hanna und Otto Rothschild daher aufgeben. Und so gelangten die vielen Zeichnungen ihres Sohnes Hans Rot doch noch nach Palästina, zu Hansens Bruder Hermann. Über Umwege kam er nun viele Jahre später aus Israel ans Jüdische Museum Frankfurt zurück und bereichert inzwischen unsere Familiensammlungen.

Ich danke Udi Rothschild für sein Vertrauen und all seine Recherchen über seine Familiengeschichte; Karola Nick für ihre Transkriptionen der Familienkorrespondenz; den Freunden und Förderern, die den Ankauf der Sammlung ermöglichten; sowie Dr. Sol. Izquierdo de la Viña für die Einblicke in ihre Forschung über Lene Schneider-Kainer und das Gästehaus Ca Vostra.

Die Informationen zu Hans Rots Leben und Werk sind der Familiensammlung Hans Rot entnommen, die unter der Signatur JMF2022-0044 in unserem Museum aufbewahrt wird. Ansprechpartnerin ist Franziska Krah: franziska.krah@stadt-frankfurt.de

Weiterführende Literatur:
Izquierdo de la Viña, Sol. “A ‘great traveler’ in Exile: Lene Schneider-Kainer in the Balearic Islands (1931-1937)”. In Turning the mirror. Gendered Art Histories of Ibero-America and the Iberian Peninsula, edited by Amrei Buchholz, Alicia Fuentes Vega and Julia Kloss-Weber. Berlin/New York: De Gruyter/Brill, 2025.

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