Auf diesem Bild ist dargestellt ist das Reinigungsbad vor dem Untertauchen in der Mikwe.

Vom Händewaschen und Reinigen der Seele

Über Hygiene, Reinlichkeit und rituelle Reinheit im Judentum
Porträt von Sabine Kößling
31. März 2020Sabine Kößling

Hygiene und Händewaschen sind in Zeiten von Corona in aller Munde. Wir werfen daher einen Blick auf die Geschichte von körperlicher Reinlichkeit, aber auch das Thema rituelle Reinheit im Judentum und speziell in der Geschichte der Frankfurter Judengasse.

Wir alle waschen uns in diesen Tagen ständig die Hände, um einer Corona-Infektion von uns selbst und anderen vorzubeugen. Neben hygienischen Gründen gibt es aber auch rituelle Aspekte des Händewaschens.

Rituelle Handwaschungen im Judentum

Leviten-Waschgeschirr aus Zinn, bestehend aus einer Schüssel und einer Kanne
Levitekanne und -schüssel aus Zinn, Jakob Philipp Schott (1700-1770), Frankfurt, Mitte 18. Jahrhundert, ausgestellt im Museum Judengasse.

Rituelle Handwaschungen gab und gibt es vielfältig in der jüdischen Religionspraxis. Viele davon gehen auf die Zeit des antiken Jerusalemer Tempels zurück: Die Kohanim – die Priester – wuschen sich vor dem Tempeldienst und vor dem Priestersegen für das Volk die Hände. Diese Tradition wird bis heute fortgeführt. Auch in einem orthodoxen Gottesdienst waschen sich die Kohanim vor dem Priestersegen in der Synagoge die Hände.

Nach der Tempelzerstörung traten an die Stelle der geregelten Opferzeiten die täglichen Gebete. Vor diesen reinigen sich die Betenden rituell ihre Hände. Auch nach dem Toilettengang und nach dem Kontakt mit Toten und "totem Material" – beispielsweise nach dem Fingernägel- und Haareschneiden – oder vor Mahlzeiten werden die Hände mit Wasser übergossen. Um sich "lebendigen" Handlungen widmen zu können, wird durch "Lebendiges" ein spiritueller Zustand wiederhergestellt: durch Wasser, der Manifestation für Leben.

Metallenes Gefäß (Natlan) mit zwei Henkeln zum Händewaschen
Henkelbecher (Natlan) für die Handwaschung aus Österreich-Ungarn, gefertigt zwischen 1875 - 1925, Bronze.

Bei der rituellen Handwaschung wird ein spezielles Gefäß – der Natlan – verwendet, eine Art großer Becher mit zwei Henkeln. Er wird mit Wasser gefüllt und jede Hand wird in der Regel drei Mal übergossen. Rituelle Waschungen dienen also dazu, den gewünschten spirituellen Zustand zur Vornahme religiöser Handlungen zu erreichen, wobei die hygienischen "side effects" sicher nicht von der Hand zu weisen sind!

Baden und Körperpflege in der Frankfurter Judengasse

Die Judengasse existierte von 1462 bis etwa 1800, ein Zeitraum, der sich ungefähr mit der Epoche der Frühen Neuzeit deckt. Dieser Zeitraum unterschied sich vom vorhergehenden Mittelalter in diesem Punkt besonders: die Badekultur verschwand.

Der Holzschnitt (Augsburg, 1481) zeigt einen Mann und eine Frau in einem hölzernen Waschzuber
Geselligkeit im mittelalterlichen Bad, Augsburg 1481, Holzschnitt

In der mittelalterlichen Stadt hatten auch Juden und Jüdinnen die verbreiteten öffentlichen Badehäuser besucht, die teils gemischt, teils nach Geschlechtern getrennt geführt wurden. Hier wurde gebadet, gegessen, gefeiert. Doch diese Art der Badekultur ging verloren, da man die Badehäuser mit dem Aufkommen neuer Krankheiten wie der Syphilis in Verbindung brachte. Man sah aber nicht in der „Geselligkeit“ die Ursache für Krankheiten, sondern im Wasser selbst und mied folglich in den kommenden Jahrhunderten Vollbäder. Das galt auch für die jüdische Lebenswelt – mit einer großen Ausnahme: Vor dem Besuch einer Mikwe, dem jüdischen Ritualbad, nahmen Männer und Frauen weiterhin ein gründliches Bad, um sich für das eigentliche Ritualbad zu reinigen.

Saubere Kleider statt sauberer Körper

Die Menschen im frühneuzeitlichen Mitteleuropa hielten Wasser also für schädlich. Sie vermieden es als vermeintlichen Überträger von Krankheiten. Gewaschen wurde daher vor allem die Kleidung – nicht der Körper, den man stattdessen mit Puder und Schminke behandelte und in saubere Kleider hüllte. Man trug nun unter der Woll- oder Seidenkleidung weiße Wäsche, die sich leichter reinigen ließ. Kragen, Manschetten, Unterröcke oder Hemden aus Leinen wurden häufiger gewechselt und boten tatsächlich eine gewisse Hygiene. Zudem wurde die Wäsche nach dem Waschen auf großen Rasenflächen in der Sonne ausgebreitet. Das Sonnenlicht macht die Wäsche nicht nur strahlend weiß, sondern tötet in gewissen Maß auch Viren und Bakterien ab.

Ausschnitt vom Merianplan von Frankfurt. Zu erkennen ist ein Bleichgarten mit ausgelegten Laken und Hemden.
Ein Bleichgarten in Frankfurt auf dem Stadtplan von Frankfurt am Main mit ausgelegten Laken und Hemden, Matthäus Merian der Jüngere (1621 – 1687), Frankfurt am Main 1682, Kupferstich (Reproduktion), Historisches Museum Frankfurt, C01246. Foto: Horst Ziegenfusz

Neben der Judengasse befand sich die Bleichwiese, die die Wäscherinnen und Mägde der Judengasse benutzten. Namentlich bekannt ist uns Schewa, die Kragenwäscherin, die sich auf das Waschen und wohl auch Plätten der großen, gefalteten Kragen spezialisiert hatte, die man zu jener Zeit trug. Auch die Hitze der Plätteisen tötete Bakterien und Viren ab.

"Stinkende Gewässer" auf den Gassen

Das Foto zeigt eine Frankfurter Ratsverordnung in Frakturschrift vom 21.11.1695
Frankfurter Ratsverordnung vom 21.11.1695

Wie stand es um die öffentliche Sauberkeit im frühneuzeitlichen Frankfurt? In unserer Stadt lebten um 1700 etwa 23.000 Menschen. Die Häuser der Altstadt und der Judengasse standen dicht gedrängt. In den Höfen oder Kellern gab es Sickergruben, in die Abfälle und die Nachttöpfe der Bewohner*innen entleert wurden. Oft warf man den Abfall aber auch direkt in die Gasse. Mehrfach musste der Frankfurter Rat entsprechende Verbote veröffentlichen – ein Zeichen, dass die Regeln nicht befolgt wurden.

In einer Ratsverordnung von 1695 beklagt der Rat, dass der Unrat auf den Straßen derart überhandgenommen habe, dass kein Fortkommen sei. Er ordnete daher an, dass Müll und Kehricht aus den Häusern nur noch an die dafür bestimmten Orte gebracht werden dürfen. Urin und andere "stinkende Gewässer" durften bei einer Strafe von 10 bis 20 Talern nicht auf die Straße gegossen werden. Zudem sollten alle Bürger vor dem Feiertag die Gassen säubern und den Müll wegschaffen – die Christen am Samstag, die Juden am Freitag.

Man stelle sich einmal den Geruch vor, der damals in der Stadt geherrscht haben muss…

Leben auf engstem Raum – die Häuser der Judengasse

Das Bild zeigt den Blick auf hölzerne und eng gebaute Hinterhäuser der Frankfurter Judengasse.
Blick auf Hinterhäuser der Judengasse, Carl Theodor Reiffenstein (1820 – 1893), Frankfurt am Main, 1875, Aus: Hans Lohne, Frankfurt um 1850. Frankfurt am Main 1967, S. 325

Unter den beengten Wohnverhältnissen im frühneuzeitlichen Frankfurt und seiner Judengasse konnten sich Krankheiten sehr leicht verbreiten. Die schmale Judengasse war im 17. und 18. Jahrhundert besonders dicht bebaut, teilweise mit Vorder- und Hinterhäusern, so dass kaum Licht und Luft in die Wohnungen drangen.

Die drei- bis vierstöckigen Häuser wurden von mehreren Familien bewohnt. Man lebte aber nicht in abgeschlossenen Appartements, sondern nutzte einzelne Räume, die alle vom zentralen Treppenhaus erreichbar waren.

Schnitt durch ein Haus der Frankfurter Judengasse. Gut zu erkennen:  Um das zentrale Treppenhaus waren die Zimmer nach Osten und Westen angeordnet.
Schnitt durch ein Haus der Judengasse. Um das zentrale Treppenhaus waren die Zimmer nach Osten und Westen angeordnet. Frankfurt am Main, 1. Viertel 18. Jahrhundert, Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt am Main / Juden-Baubuch.

Mayer Amschel Rothschild, der Begründer der berühmten Bankiersdynastie, mietete 1783 die Hälfte des Hauses „Hase und Amsel“. Im Detail bedeutete dies: Das Ehepaar Rothschild mit seinen damals fünf Kindern nutzte im Erdgeschoss eine Stube und die Küche, im zweiten Stock zwei einander gegenüberliegende Zimmer, dazu je ein Zimmer im dritten und im vierten Stock. Daneben lebten weitere Familien samt Dienstboten in dem Haus. Mehrfach täglich begegneten sich die Bewohner*innen auf den engen Treppen, Gängen und auf dem Weg zu den Abtritten im Hof.

Auch wenn die Anforderungen an die Sauberkeit der Häuser im 17. und 18. Jahrhundert niedriger waren als heute – selbst damals mied man z.B. die Handseile in den Treppenhäusern. Die waren so schmutzig, dass man befürchtete, bei einer Berührung die Krätze zu bekommen.

Kochen und Wasserversorgung in der Judengasse

Die Zeichnung zeigt eine Küche auf einem Treppenabsatz, alles sehr beengt, in der Mitte eine schmale Wendeltreppe, daneben ein Kätzchen.
Küche auf einem Treppenabsatz. Otto Lindheimer (1842 – 1894), Frankfurt am Main, 1884, Historisches Museum Frankfurt, C50131, Foto: Horst Ziegenfusz.

Die Küche der meisten Häuser in der Judengasse befand sich auf dem Treppenabsatz. Hier wurde gekocht und gewaschen. Der Dampf und Geruch erfüllte die ganzen Häuser.

Prachtvolle Häuser wie das Steinerne Haus hatten einen Brunnen im Keller, der über eine Pumpe die Küche im Erdgeschoss mit frischem Wasser versorgte. In diesem Haus gab es auch ein Wasserbassin für lebende Fische im Keller. Die meisten Haushalte aber holten das Wasser von öffentlichen Brunnen, von denen es vier Stück in der Judengasse gab.

Man transportierte das Wasser in Holz- oder Ledereimern. Die ohnehin schlechte Qualität des Wassers – die Brunnen befanden sich oft nahe den Abfallgruben – wird dadurch sicherlich nicht gewonnen haben. Wein und Bier waren daher alltägliche Getränke unter den Bewohner*innen der Judengasse, denn der Alkohol wirkte desinfizierend.

Händewaschen in der Wohnstube: Wohnkultur in der Judengasse

Über die Wohnungseinrichtungen in der Frankfurter Judengasse sind wir nur aus wenigen Quellen informiert, bildliche Darstellungen gibt es keine. Aus einem Inventar vom Ende des 17. Jahrhunderts kennen wir die Einrichtung von Seligmann zur Goldenen Krone. In seiner Wohnstube stand neben einem Ausziehtisch auch ein Bett. Darüber hinaus gab es ein "Handfass" aus Zinn in einem "Tresour" mit zwei Türen. Was das ist?

Waschgerät aus Zinn
Waschgerät aus Zinn. Oft befanden sich diese Geräte in einem Schrank oder einer Wandnische. Deutschland, 18.-19. Jahrhundert.

Das Handfass ist ein metallenes Gefäß, in der Regel mit einem Ausguss, unter dem eine Schüssel stand. Beides befand sich in einem für diesen Zweck gefertigten Schrank, dem Tresour. Dieses Ensemble mit passenden Handtüchern und weiterem Zubehör bildete in der Frühen Neuzeit oft das Prunkstück einer Zimmereinrichtung. Zumindest in christlichen Haushalten bedeutete dies aber nicht, dass man sich oft die Hände wusch! Zwar wurde während der Mahlzeiten Wasser entnommen. Der Zweck war aber weniger eine hygienische Reinigung als vielmehr ein Zeichen der Ehrerbietung dem Hausherrn und den Gästen gegenüber. In jüdischen Haushalten mag es auch für die oben beschriebenen rituellen Handwaschungen genutzt worden sein. Die Funktion als Zierrat und "must have" in der Wohnstube hatte es aber sicherlich auch.

Sabine Kößling und Sara Soussan

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Kommentare

Wurde der silberne Zeigestab als Hilfe für das Lesen in den Tora-Rollen auch aus Gründen der Sauberkeit benutzt? Was bedeutet der zerbrochene Zeigestab auf einem Triumphkreuz von Karl Burgeff in der Kirche St. Cäcilia in Düsseldorf-Benrath?

22.04.2020 • Ludger Schmitz

@Ludger Schmitz: Vielen Dank für Ihren Kommentar. Zu Ihrer ersten Frage: Der Torazeiger heißt auch "Jad" (hebräisch für Hand/Arm) und wird aus "konservatorischen", nicht hygienischen Gründen benutzt. Eine Tora-Rolle ist handgeschrieben, sehr wertvoll und darf für die Lesung keine Schriftfehler (oder unleserliche Buchstaben) enthalten. Damit die Tintenbuchstaben nicht durch den ständigen Fingerkontakt verschmieren oder beschädigt werden, benutzt man diesen Jad. Zu dem erwähnten Triumphkreuz können wir leider nicht sagen, wir kennen es nicht.

22.04.2020 • Onlineredaktion JMF

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