Screenshot aus Jewish Places mit Blick auf das Ostend Frankfurt

Jewish Places in Frankfurt

Auf Spurensuche im Ostend
Porträt von Heike Drummer
07. Januar 2025Heike Drummer

Im Jahr 2024 haben wir uns intensiv mit Geschichte(n) jüdischen Lebens in der Judengasse, dem unmittelbar benachbarten Ostend und der östlichen Innenstadt Frankfurts beschäftigt. Eines der Ergebnisse ist nun auf der Online-Plattform Jewish Places des Jüdischen Museums Berlin zu sehen, der größten interaktiven Karte zu jüdischem Leben in Deutschland. Hier finden sich nun mehr als 50 topografische Einträge, die der Frankfurter Historiker Fedor Besseler erarbeitet hat. Unsere Kuratorin für Zeitgeschichte Heike Drummer leitete das Projekt. Hier stellt sie Euch die neuen Jewish Places und die Nutzungsmöglichkeiten vor.

Jüdisches Leben im Frankfurter Ostend

Blick in die Ausstellung "Ostend - Blick in ein Jüdisches Viertel"
Blick in die Ausstellung "Ostend - Blick in ein Jüdisches Viertel"

Seit 2004 präsentiert das Jüdische Museum Frankfurt in Kooperation mit der Initiative 9. November e. V. im Hochbunker an der Friedberger Anlage die Tafelausstellung „Ostend. Blick in ein jüdisches Viertel“. Zwischenzeitlich gab es einige Neuerungen und Ergänzungen: 2016 öffnete die Schau in überarbeiteter Form und im neuen Design; 2019/20 legten wir eine Begleitdokumentationen in deutscher und englischer Sprache vor; 2023/24 versahen wir gemeinsam mit dem Verein Jüdische Pflegegeschichte e. V. einige Ausstellungstafeln – etwa zur Wohlfahrt, Kranken- und Sozialfürsorge – mit QR-Codes zur Vertiefung dieser Themen vor Ort und in Kürze ergänzen wir die Ausstellung um ein Element zur Geschichte des Heine-Denkmals (das 1913 eingeweihte Monument steht seit September 2023 wieder an seinem ursprünglichen Standort in der Friedberger Anlage – fast vis-à-vis des Hochbunkers). 

Neue Angebote auf Jewish Places

Screenshot von der Plattform "Jewish Places" des Jüdischen Museums Berlin
Screenshot von der Plattform "Jewish Places" des Jüdischen Museums Berlin

Im Jahr 2024 haben wir nun das bislang ambitionierteste Vorhaben in Ergänzung zu dieser Tafelausstellung realisiert: eine neue Dauerausstellung zur jüdischen Emanzipationsgeschichte an einem neuen Ort, dem Gewölbekeller „Goldener Apfel“, sowie Online-Touren durch die benachbarte Gegend in Zusammenarbeit mit Jewish Places, der kooperativen und topografischen Community-Plattform des Jüdischen Museums Berlin. Diese bietet allen Interessierten die Möglichkeit, Informationen zu religiösen wie säkularen Einrichtungen, Biografien von Persönlichkeiten sowie für die jüdische Geschichte relevante Orte zu recherchieren, erkunden und auch selbst hochzuladen. Eine tolle Ergänzung sind virtuell geführte Spaziergänge.

Bei dieser partizipativen Plattform unserer Berliner Kolleg:innen wollten wir gerne mitarbeiten, zumal das Jüdische Museum Frankfurt bereits zu den Kooperationspartner:innen von Jewish Places gehört. Unterstützt wurden wir dabei durch das Kulturdezernat der Stadt Frankfurt, das einem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung nachkam, demzufolge die jüdische Geschichte des Frankfurter Ostends stärker öffentlich sichtbar gemacht werden solle. Denn es ist der Frankfurter Kommunalpolitik im Lichte der angespannten sozialen und politischen Lage nach dem 7. Oktober 2023 und der lange davor schon stärker anwachsenden Judenfeindlichkeit ein Anliegen, die Vermittlung der jüdischen Geschichte Frankfurts als eines originären Teils der Stadtgeschichte zu intensivieren.

Über uns – Jewish Places (jewish-places.de)

„Jewish Places visualisiert jüdisches Leben im deutschsprachigen Raum auf einer interaktiven Karte. Neben dem Aufbau einer eigenen Community, lädt die Website zum Sammeln und Einstellen von Inhalten ein. Sie bewahrt und erweitert das Wissen und stellt es allen Nutzer*innen frei zur Verfügung. Als bundesweite Kooperationsgemeinschaft ist Jewish Places eine Plattform, die das verstreute Wissen zur jüdischen Mikrogeschichte bündelt und es zum Zweck der Auseinandersetzung und Aufklärung einsetzt: Jüdisches Leben ist integraler Bestandteil der Gesellschaft.“

Stadtspaziergänge durch das Ostend Frankfurt

Bethmannweiher und Kursaal Milani in Frankfurt, 1902-1909
Bethmannweiher und Kursaal Milani, 1902-1909. © Institut für Stadtgeschichte, S17 Nr. 427 0001

Wir entschieden uns, für den Stadtteil Ostend und die östliche Innenstadt insgesamt fünf Spaziergänge mit jeweils mehreren Stationen sowie zehn Einzelorte auszuarbeiteten – mit detaillierten Beschreibungen, mit mehr als 150 (historischen wie aktuellen) Abbildungen, weiterführenden Links sowie einer Quellen- und Literaturauswahl. Die Website Jewish Places ist zweisprachig (Deutsch/Englisch) und präsentiert sowohl Orte, die in der Zeit des Nationalsozialismus zerstört wurden, als auch Standorte aus dem Bereich der Gedenk- und Erinnerungskultur sowie heute von Jüdinnen und Juden geführte Unternehmen, etwa Geschäfte und Lokale. 

Paul Arnsberg, Bilder aus dem jüdischen Leben im alten Frankfurt, 1970

„So entstand in der Promenade der Friedberger Anlage der Kursaal Milani. Dieser Kursaal Milani, in dem sich heute das Etablissement ODEON befindet, war viele Jahre Treffpunkt der Ostendbevölkerung, in erster Linie der jüdischen Bewohner des Ostends. Es fanden dort Künstlerkonzerte statt und besonders am Sabbat war das für das ganze 'jüdische Ostend' der Treffpunkt.“

Welche Überlegungen leiteten uns bei der Konzeption der Spaziergänge und der zehn Stationen? Der heutige Stadtteil Ostend ist in der Fläche sehr groß und von vielbefahrenen Verkehrsadern wie der Hanauer Landstraße durchzogen. Die fußläufige Erschließung des Viertels ist deshalb mühsam und oft alles andere als reizvoll. Außerdem ist beim Aufsuchen der Orte viel Phantasie gefordert, denn die allermeisten ehemaligen Jewish Places existierten spätestens ab 1938 nicht mehr. Stattdessen sehen wir uns im Ostend mit gesichtsloser Nachkriegsbebauung konfrontiert. Bei der Auswahl der Abbildungen legte Fedor Besseler großen Wert darauf, den Zustand der jeweiligen Standorte vor der Zerstörung im Nationalsozialismus und heute zu dokumentieren. Außerdem wertete der Historiker neue Quellen aus, wie etwa für den Spaziergang Firmenadresse Ostend die Kartei der IHK im Hessischen Wirtschaftsarchiv Darmstadt.

Unsere Spaziergänge sollten möglichst in einer überschaubaren Zeit und Länge zu bewältigen sein. Die Angaben zur durchschnittlichen Dauer finden sich jeweils auf der Karte. Bei den Themen orientierten wir uns grob an der Ausstellung „Ostend. Blick in ein jüdisches Viertel“, denn die Besucher:innen - häufig sind es Angehörige von ermordeten Frankfurter:innen und von Überlebenden der Schoa - können nun via Jewish Places selbstständig das Viertel erkunden – virtuell und analog.

Bei den zehn zusätzlich beschriebenen Orten handelt es sich um das Hotel/Restaurant Löwenhof, das Café Goldschmidt gegenüber des Hauses Goldener Apfel, die koschere Metzgerei Albert Stern, das Hospital Königswarter, die Mädchenwaisenanstalt des Israelitischen Frauenvereins, das Wohnheim Beith Neorim, die Naxos Union, die Synagoge im Baumweg, den Wohnkomplex für die Bewohner:innen des früheren DP-Lagers Föhrenwald sowie den Alfred-Meyers-Platz am Ostpark. In der Auswahl dieser Orte ging es uns nicht zuletzt auch darum, eine möglichst breite Palette an Einrichtungen aus den Bereichen Kultur, Kulinarik, Fürsorge, Wirtschaft, Nachkriegsgeschichte und Gedenken vorzustellen.

Perspektiven

Als wir mit dem Projekt starteten, war die interaktive Karte zum Ostend auf Jewish Places noch weitgehend leer. Ein Anfang ist nun für den Stadtteil gemacht, aber die Arbeit daran wollen wir sukzessive weiterführen. Gleichzeitig werben wir fürs Mitmachen!

Lassen sich unsere Arbeitsergebnisse auch für digitale Angebote der Stadt Frankfurt nutzen? Natürlich! In naher Zukunft werden wir uns auch an der Frankfurt History App beteiligen, einem Projekt der Bildungsagenda NS-Unrecht aus 2021/22, gefördert von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) und dem Bundesministerium der Finanzen (BMF), bei dem das Jüdische Museum Frankfurt zu den Kooperationspartner:innen gehörte. Ab 2026 könnten wir mit der Arbeit beginnen.

Wir danken Fedor Besseler, Elena Melnikow-Schneidmiller, David Studniberg und dem gesamten Team von Jewish Places sowie allen Bildleihgeber:innen.

Heike Drummer

Literaturauswahl

  • Arnsberg, Paul: Bilder aus dem jüdischen Leben im alten Frankfurt. Frankfurt am Main 1970.
  • Backhaus, Fritz/Gross, Raphael/Kößling, Sabine/Wenzel, Mirjam (Hg.): Die Frankfurter Judengasse. Katalog zur Dauerausstellung des Jüdischen Museums Frankfurt. München 2016.
  • Bonavita, Petra: Assimilation, Verfolgung, Exil – am Beispiel der jüdischen Schüler eines Frankfurter Gymnasiums (heute: Heinrich von Gagern-Gymnasium). Stuttgart 2002.
  • Drummer, Heike/Krohn, Helga: Ostend – Blick in ein jüdisches Viertel. Dokumentation der Dauerausstellung des Jüdischen Museums Frankfurt im Hochbunker an der Friedberger Anlage 5-6. Jüdisches Museum Frankfurt (Hg.). Frankfurt am Main 2. Aufl. 2025 (2020).
  • Drummer, Heike/Krohn, Helga: The East End – Looking into a Jewish Quarter. Jüdisches Museum Frankfurt (ed.). Übersetzung ins Englische von Pauline Cumbers. Frankfurt am Main 2. Aufl. 2024 (2019)
  • Gegen das Vergessen. Die Naxoshalle im Nationalsozialismus. Begleitheft zur Themenwoche 25.09. bis 01.10.2020. Frankfurt am Main 2020.
  • Groß, Raphael/Semmelroth, Felix (Hg.): Erinnerungsstätte an der Frankfurter Großmarkthalle. Die Deportation der Juden 1941-1945. München/London/New York 2016 [auch in Englisch].
  • Heuberger, Georg (Hg.): Stationen des Vergessens. Der Börneplatz-Konflikt. Begleitbuch zur Eröffnungsausstellung Museum Judengasse. Frankfurt am Main 1992.
  • Initiative 9. November e. V. (Hg.): Erinnerung braucht Zukunft. Der Ort der zerstörten Synagoge an der Friedberger Anlage in Frankfurt am Main. Frankfurt am Main 2010.
  • Initiative 9. November e. V./Bergmiller-Fellmeth, Iris/Leuschner-Gafga, Elisabeth (Hg.): Displaced Persons – Vom DP-Lager Föhrenwald nach Frankfurt am Main (From DP-Camp Ferenwald to Frankfurt am Main). Frankfurt am Main 2019.
  • Jüdisches Museum Frankfurt (Hg.): Ostend – Blick in ein jüdisches Viertel. Frankfurt am Main 2004 (2000).
  • Korn, Salomon/Clausmeyer-Ewers, Bettina: Die Synagoge an der Friedberger Anlage. Gedenkstätte für die ehemalige Synagoge der Israelitischen Religionsgemeinschaft. Frankfurt am Main 1989.
  • Liepach, Martin: Ostend. Blick in ein jüdisches Viertel. Alltag, Wohnen, Feste [pädagogisches Begleitheft zur gleichnamigen Ausstellung vom 27. Mai bis 12. November 2000 im Jüdischen Museum, Frankfurt am Main]. Frankfurt am Main 2000.
  • Otto, Armin: Juden im Frankfurter Osten 1796 bis 1945. Offenbach 3. Auflage 1998 (1997).
  • Schembs, Hans-Otto: Der Börneplatz in Frankfurt am Main. Frankfurt am Main 1987.
  • Seemann, Birgit/Bönisch, Edgar: Das Gumpertz’sche Siechenhaus – ein „Jewish Place“ in Frankfurt am Main. Geschichte und Geschichten einer jüdischen Wohlfahrtseinrichtung. Frankfurt am Main 2019.
  • Stern, Baruch: 50 Jahre Israelitische Volksschule Frankfurt am Main. Frankfurt am Main 1932.
  • Thiel, Hans (Hg.): Die Samson-Raphael-Hirsch-Schule in Frankfurt am Main. Dokumente – Erinnerungen – Analysen. Frankfurt am Main 2001.
  • Thiel, Hans: Die jüdischen Lehrer und Schüler der Frankfurter Helmholtzschule 1912-1936. Frankfurt am Main 1990.

Schlagwortsammlung

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