Ludwig Landmann

Das Vermächtnis von Ludwig Landmann

Andreas von Schoeler und Wilhelm von Sternburg im Gespräch
Porträt von Mirjam Wenzel
20. September 2019Mirjam Wenzel

Die Gesellschaft der Freunde und Förderer des Jüdischen Museums veranstaltet am 23. September 2019 gemeinsam mit dem urban future forum ein Symposium zu Ehren des ersten jüdischen Oberbürgermeisters von Frankfurt, Ludwig Landmann. Dabei wird auch die neue, soeben im S. Fischer Verlag erschienene Biografie vorgestellt.

Wilhelm von Sternburg und Andreas von Schoeler
Wilhelm von Sternburg © michael schick photo; Andreas von Schoeler

Unsere Direktorin, Mirjam Wenzel, unterhielt sich im Vorfeld des Abends mit dem ehemaligen Chefredakteur des Hessischen Rundfunks und Autor dieser Biografie, Wilhelm von Sternburg, sowie mit dem Initiator des Symposiums und der Neuerscheinung, dem ehemaligen Frankfurter Oberbürgermeister Andreas von Schoeler.

Mirjam Wenzel: Lieber Herr von Schoeler, Sie haben sich als Vorstandsvorsitzender der Gesellschaft unserer Freunde und Förderer sehr für eine Würdigung des letzten demokratisch gewählten Oberbürgermeisters vor der nationalsozialistischen Machtübernahme, Ludwig Landmann, eingesetzt. Was war Ihre Motivation?

Andreas von Schoeler: Der Umgang mit den Verbrechen der Nationalsozialisten nach dem Krieg ist ein Thema, das mich schon immer sehr stark beschäftigt hat. Die Atmosphäre des Schweigens und Verschweigens, der Beschönigungen, des Leugnens, der Unschuldsbeteuerungen und der Ausflüchte in den Jahren nach 1945 finde ich bedrückend. Die Verfolgung der Menschen, die in der Nazizeit den Mut zum Widerstehen aufgebracht haben, darf nicht bruchlos in eine "zweite Verfolgung" nach dem Krieg durch Vergessen übergehen. Ein Beispiel dafür ist Ludwig Landmann. Obwohl er ein Oberbürgermeister mit visionärer Kraft und großem Weitblick war, ist seiner nach dem Krieg wenig gedacht worden. Das wollen wir Freunde und Förderer des Museums ändern.

Andreas von Schoeler

Die Verfolgung der Menschen, die in der Nazizeit den Mut zum Widerstehen aufgebracht haben, darf nicht in eine "zweite Verfolgung" durch Vergessen übergehen.

Lieber Herr von Sternburg, Sie haben sich in den letzten Monaten intensiv mit Landmanns Biografie beschäftigt und ein Porträt verfasst, das nun im S. Fischer Verlag erschienen ist. Welche Entdeckungen haben Sie gemacht? Und was hat Sie währenddessen besonders beschäftigt?

Wilhelm von Sternburg: In einer Zeit, in der demokratische Selbstverständlichkeiten ins Wanken zu geraten drohen, ist es besonders wichtig, an Politiker und Politikerinnen zu erinnern, die in äußerst schwierigen Jahren mutig und klug dem Gemeinwohl gedient haben. Ludwig Landmann hat vor allem in den Weimarer Jahren die Republik durch seine Politik und seine persönliche Haltung verteidigt. Ich war selbst überrascht, welche große Bedeutung Landmanns kommunalpolitische Arbeit auch für das Frankfurt der Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg besitzen sollte.

Lieber Herr von Schoeler, welche Passagen des Buchs fanden Sie besonders einprägsam? Was haben Sie durch Herrn von Sternburg Neues über Ludwig Landmann erfahren?

Andreas von Schoeler: Zwei Themenfelder will ich hervorheben. Zum einen die unglaubliche Breite des Engagements Landmanns in der Wirtschaftsförderung, dem modernen Wohnungs- und Siedlungsbau, dem Auf- und Ausbau der Messe und nicht zuletzt der Kultur und Musik. Zum anderen fand ich die detaillierte Beschreibung der Jahre ab 1929 sehr eindrucksvoll und bedrückend, die Kapitel über den Niedergang der Demokratie in Deutschland nach der Weltwirtschaftskrise und die Angriffe, denen sich Landmann nicht nur von den Nationalsozialisten, sondern auch von Kommunisten und Deutsch-Nationalen in perfider Weise ausgesetzt sah. Neu waren mir viele Details zum taktischen Geschick und Durchsetzungsvermögen Landmanns auch in politisch höchst schwierigen Situationen.

Lieber Herr von Sternburg, Ihr Buch beginnt mit den Worten "Das Ende ist schwer" und beschreibt zunächst die letzten Momente von Landmanns Leben. Warum habe Sie das Ende an den Anfang Ihres Buches gestellt?

Wilhelm von Sternburg: Die letzten Lebensjahre Landmanns waren durch Demütigungen, Verfolgungen und Todesdrohungen geprägt. Ich habe sein Ende als Anklage gegen ein Deutschland empfunden, in dem Humanismus und Aufklärung nicht nur von der Elite, sondern von großen Teilen der Bevölkerung verraten wurden. Die Leserinnen und Leser sollen bei der dem ersten Kapitel folgenden Darstellung der bedeutenden kommunalpolitischen Leistungen nie vergessen, wie Landmanns Kampf um den Erhalt der deutschen Demokratie und sein Ringen um die Überwindung der katastrophalen Lebensverhältnisse in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg vergolten wurde.

Sie widmen der jüdischen Herkunft von Ludwig Landmann ein eigenes Kapitel, obwohl dieser 1917 aus der Gemeinde austrat. Inwiefern verstand sich Landmann als Jude? Und wie hätte er wohl auf die Bezeichnung "der erste jüdische Oberbürgermeister" reagiert?

Wilhelm von Sternburg: Wir alle sind von unserer sozialen und kulturellen Herkunft tief geprägt. Landmann sah sich in erster Linie als bürgerlicher süddeutscher Patriot und er stammte aus einem gläubigen jüdischen Elternhaus. Ich versuche in meinem Buch darzustellen, dass sein Austritt aus der jüdischen Gemeinde, sein säkulares Judentum, teilweise auf sein liberales und aufgeklärtes Denken zurückzuführen ist, aber auch auf seine tiefe – wie sich zeigen sollte illusionäre – Überzeugung, dass die deutsch-jüdische Symbiose alle Glaubensauseinandersetzungen überwunden hätte. Seine introvertierte Persönlichkeit aber weist doch auf eine lebenslang verspürte gesellschaftliche Außenseiterrolle hin. Die Bezeichnung "der erste jüdische Bürgermeister" hätte Landmann als überflüssig abgelehnt.

Wilhelm von Sternburg

Landmanns Visionen einer modernen, sozialen und kulturell starken Kommune sind überaus aktuell.

Landmanns Visionen und politischen Entscheidungen als Oberbürgermeister ermöglichten eine urbane Modernisierung, "das neue Frankfurt". Welche Aktualität messen Sie beide diesem Vermächtnis bei?

Andreas von Schoeler: Ich halte insbesondere die Erkenntnis Landmanns für zeitlos gültig, dass für die Entwicklung einer Stadt eine moderne, den zukünftig auftretenden Anforderungen entsprechende Infrastruktur entscheidend ist. Ihn hat das zu höchst weitsichtigen Entscheidungen motiviert: Seine Erkenntnis der zukünftigen Bedeutung des Luftverkehrs und der Autobahnen hat wesentlich dazu beigetragen, dass Frankfurt zum Verkehrsknotenpunkt Deutschlands wurde. Nichts ist so aktuell wie seine Bereitschaft, dem Wohnungsbau auch gegen Widerstände Priorität zu geben.

Wilhelm von Sternburg: Ja, genau. Flughafen und Messe, eine zeitgemäße Wohnungs- und Verkehrspolitik, die kulturpolitische und ästhetische Auseinandersetzung über das Neue Frankfurt – die Grundlagen für das Aufblühen der modernen und wirtschaftlich starken Main-Metropole in den Weimarer Jahren, aber auch in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in der Amtszeit von Landmann gelegt.

Andreas von Schoeler: Und nicht zuletzt: Dass in seiner Zeit so kompetente und visionäre Köpfe wie Ernst May, Bruno Asch, Max Beckmann, Max Horkheimer, Theodor W. Adorno oder Hugo Sinzheimer in Frankfurt wirken konnten, hat zur intellektuellen Lebendigkeit dieser Stadt wesentlich beigetragen. Wenigstens teilweise konnte Frankfurt daran nach dem Krieg anknüpfen.

Wilhelm von Sternburg: Landmanns Visionen einer modernen, sozialen und kulturell starken Kommune sind für das Frankfurt von heute überaus aktuell. Auch seine vielfach überparteiliche Haltung in den wichtigen Fragen der Stadtpolitik bleiben für die politischen Akteure in der Frankfurter Gegenwart eine Herausforderung.

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