Otto mit seiner Frau Edith und den beiden Töchtern Margot und Anne Frank in Amsterdam © Anne Frank Fonds

Zum Tag der Befreiung von Auschwitz

Das Schicksal von Otto Frank
Porträt von Franziska Krah
21. Januar 2025Franziska Krah

Vor 80 Jahren wurde das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz von der Roten Armee befreit. Als internationaler Gedenktag erinnert das Datum heute an die Opfer des Nationalsozialismus. Franziska Krah, Leiterin unseres Familie Frank Zentrums, erinnert zu diesem Anlass an die Familie von Anne Frank, die am 3. September 1944 mit dem letzten Transport aus den Niederlanden nach Auschwitz-Birkenau deportiert wurde. Dabei nimmt sie insbesondere die Briefe in den Blick, die Otto Frank unmittelbar nach seiner Befreiung schrieb.

Zwei Jahre lang dokumentierte Anne Frank in ihrem Tagebuch das Leben im Versteck mit ihrer Schwester und ihren Eltern, der Familie von Pels und dem Zahnarzt Fritz Pfeffer. Ihr letzter Eintrag stammt vom 1. August 1944. Drei Tage später wurden die Untergetauchten im Amsterdamer Hinterhaus entdeckt, verhaftet und kurz darauf ins Lager Westerbork gebracht. Es diente in den Niederlanden als Sammellager. Von den insgesamt 107.000 Jüdinnen und Juden, die aus den Niederlanden deportiert wurden, waren beinahe alle zunächst in Westerbork inhaftiert. Von dort ging seit Sommer 1942, als die ersten massenhaften Deportationen aus den Niederlanden begangen, einmal wöchentlich ein Zug Richtung Osten in die Konzentrations- und Vernichtungslager.

Die Familie Frank musste den letzten Zug nach Auschwitz-Birkenau nehmen. Als sie dort am 5. September angekommen war, wurden Anne, ihre Schwester Margot und Mutter Edith von ihrem Vater bzw. Ehemann Otto Frank getrennt. Sie sahen sich nie wieder.

Befreiung von Otto Frank in Auschwitz

Otto Frank gehörte zu den wenigen Menschen, die am 27. Januar 1945 von der Roten Armee in Auschwitz befreit wurden. Als die sowjetischen Soldaten das Lager betraten, wog er nur noch um die 50 Kilo und war völlig entkräftet. Nach langem erzwungenen Schweigen konnte er sich am 23. Februar 1945 erstmals wieder bei seiner Mutter in Basel melden. In der Karte, die er aus Auschwitz schickte, schrieb er:

Erster Brief von Otto Frank aus Auschwitz nach seiner Befreiung © Anne Frank Fonds
Erster Brief von Otto Frank aus Auschwitz nach seiner Befreiung © Anne Frank Fonds

„Hoffentlich erreichen Dich diese Zeilen, die Dir und all den Lieben die Nachricht bringen, dass ich durch die Russen gerettet wurde, gesund voll guten Mutes bin und in jeder Beziehung gut versorgt. Wo Edith und die Kinder sich befinden weiss ich nicht, wir sind seit 5. Sept. 44 getrennt. Ich hörte nur, dass sie nach Deutschland transportiert wurden. Man muss hoffen, sich gesund zurück zu sehen.“

Alice Frank war 1933 aus Frankfurt am Main geflohen und lebte seither in Basel. Auf seiner Karte an sie gab Otto Frank neben seinem Namen und dem Geburtsdatum seine Gefangenennummer B.9174 als Absender an, eine Wohnanschrift hatte er nicht.

Von Auschwitz über Odessa nach Amsterdam

Foto des Dampfschiffs Monowai 1933.
Foto des Dampfschiffs Monowai (1933). Mit diesem Schiff reiste Otto Frank 1945 von Odessa nach Marseille.

Am 15. März schickte Otto Frank die zweite Karte an seine Mutter. Da war er bereits auf dem Weg nach Amsterdam, das kriegsbedingt nur über große Umwege anvisiert werden konnte. Zusammen mit anderen Überlebenden kam er zunächst mit dem Zug nach Kattowitz und wartete dort in der Ferdinandschule sowie im Vorstandsgebäude der Ferdinandgrube auf die Weiterfahrt nach Holland. Seiner Mutter schrieb er, wie sehr er sich nach einem Wiedersehen mit allen sehne. Über sein Überleben bilanzierte er: „Es ist ein Wunder, dass ich noch lebe, ich hatte viel Glück u[nd] muss dankbar sein.“

Noch immer in Kattowitz meldete sich Otto Frank am 18. März erneut bei seiner Mutter und die ebenfalls in Basel lebende Schwester Leni Elias-Frank mit ihrer Familie sowie dem Bruder Herbert Frank. Wieder brachte er seine Hoffnung auf ein Wiedersehen, insbesondere mit seiner Kleinfamilie zum Ausdruck: „Wie sehr mich der Gedanke quält, nicht zu wissen, wo Edith und die Kinder sich befinden, werdet ihr verstehen. Ich habe jedoch die Hoffnung, alle gesund wieder zu sehen“.

Nur wenige Tage später erfuhr Otto Frank durch eine Überlebende, die mit ihm unterwegs war, vom Tod seiner Frau Edith. Sie starb am 6. Januar 1945 in Auschwitz-Birkenau. Otto Frank war von der Nachricht noch ganz benommen, als er seiner Mutter in wenigen Zeilen vom Mord an ihr berichtete.

Otto Frank am 28. März 1945

„Edith ist im Krankenhaus an Schwäche durch Unterernährung gestorben, sodass ihr Körper eine Darmstörung die hinzukam nicht aushielt. In Wirklichkeit auch ein Mord der Deutschen. Hätte sie nur 14 Tage länger ausgehalten dann wäre nach der Befreiung durch die Russen alles anders geworden.“

Mitte April konnte er endlich weiterreisen. Über Czernowitz ging es nach Odessa, an deren Hafen er auf den Steamer Monowai eingeschifft wurde, der ihn und andere Überlebende Ende Mai nach Marseille brachte. Noch auf dem Schiff erklärte er brieflich seiner Mutter und seinen Geschwistern, dass er nun – entweder mit Umweg über England oder direkt – nach Holland müsse, da er ohne Papiere und Geld keine Möglichkeit hatte, zu ihnen in die Schweiz zu kommen. Außerdem hoffte er, in Amsterdam auf seine beiden Töchter zu treffen. Nach der erschütternden Nachricht vom Tod Ediths setzte er alle Hoffnung auf ein Wiedersehen mit ihnen.

Otto Frank am 26. Mai 1945

„Mit wieviel Sehnsucht ich ein Wiedersehn erwarte, könnt Ihr Euch kaum vorstellen. Meine ganze Hoffnung sind die Kinder. Ich klammere mich an die Überzeugung, dass sie am Leben sind und wir bald wieder zusammen sein werden.“

Auf der Suche nach seinen Kindern Margot und Anne Frank

Brief von Alice Frank an ihren Sohn Otto Frank  am 19. Juni 1945 © Anne Frank Fonds
Brief von Alice Frank an ihren Sohn Otto Frank am 19. Juni 1945 © Anne Frank Fonds

Von Südfrankreich aus ging es auf direktem Wege nach Holland und Anfang Juni kam er nach wochenlanger Reise in Amsterdam an. Dort wohnte er zunächst bei seiner früheren Mitarbeiterin Miep Gies und ihrer Familie, die ihm bereits im Versteck eine wichtige Unterstützung war. Nun setzte er alle Kräfte daran, seine beiden Töchter Margot und Anne wiederzufinden.

Gleichzeitig gelang endlich auch der Kontakt zu seiner Mutter in der Schweiz, die durch die kriegsbedingt verzögerte Postzustellung erst im Juni davon erfuhr, dass ihr Sohn im Vernichtungslager Auschwitz war und ihre Schwiegertochter dort ermordet wurde.

Alice Frank an Otto Frank am 19. Juni 1945

„Dich allein zu wissen in Deiner grossen Trauer um Edith und ohne Nachrichten von den geliebten Kindern ist wohl das entsetzlichste was ich in meinem, oft so schwerem Leben, erfahren musste. Was muss die arme Edith gelitten haben ohne Dich und die Kinder, man wagt gar nicht sich dies auszudenken und wir hier ahnungslos!“

Otto mit seinen Töchtern Margot und Anne Frank in Frankfurt © Anne Frank Fonds
Otto mit seinen Töchtern Margot und Anne Frank in Frankfurt © Anne Frank Fonds

Unterdessen hatte Otto Frank große Schwierigkeiten sich einen Lebensalltag in Amsterdam aufzubauen: „Ich schreibe hier im Büro, es ist alles wie ein schwerer Traum, ich kann mich in der Wirklichkeit noch nicht zurecht finden.“ Die Traumata, die ihm als Auschwitz-Überlebenden widerfahren waren, wurden überdeckt von der unbeschreiblichen Sorge um seine Kinder. Für ihn war klar: „die Hauptsache ist, dass die Kinder wieder auftauchen.“

So schrieb er es immer wieder an seine Mutter. In seinem ersten ausführlichen Brief aus Amsterdam schilderte er ihr die Umstände, unter denen er mit seiner Familie 1942 ins Versteck ging, über den Brief von der „Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Amsterdam“, der Margot Frank am 5. Juli 1942 schriftlich dazu aufforderte, sich zum Arbeitsdienst zu melden. Das Versteck war die letzte Möglichkeit zum Überleben, nachdem Versuche, in die USA oder Cuba auszuwandern, gescheitert waren. Er schrieb darüber, wie sie es schafften, zwei Jahre im Versteck zu überleben – es waren nur noch wenige Monate bis zur Befreiung durch die Alliierten – und wie sie auf bis heute ungeklärte Weise entdeckt und verhaftet wurden.

Brief von Leni Elias-Frank an ihren Bruder Otto Frank  am 22. Juni 1945 © Anne Frank Fonds
Brief von Leni Elias-Frank an ihren Bruder Otto Frank am 22. Juni 1945 © Anne Frank Fonds

Seine Schwester Leni Elias-Frank schrieb ihm am 22. Juni einen berührenden Brief, indem auch sie betonte, dass es das wichtigste sei, Margot und Anne Frank wiederzufinden:

„Du kannst überzeugt sein, dass wir alles tun was in unserer Macht steht, um etwas von den Kindern zu erfahren, ich habe nun auf diplomatischem Weg versucht. Aber alles geht im Schneckentempo – nur die Greuel der deutschen Banditen nicht!“

Kurz darauf erfuhr die Familie, dass Margot und Anne Frank nicht überlebt hatten. Nachdem sie im Oktober 1944 ins Konzentrationslager Bergen-Belsen deportiert wurden, waren sie im März 1945 durch die unmenschliche Behandlung ermordet worden. Es waren zu diesem Zeitpunkt nur noch wenige Wochen bis zur Befreiung des Lagers.

Alle Hoffnung war zerstört und Otto Frank hatte nun Gewissheit, der einzige Überlebende seiner kleinen Familie zu sein.

Nach der erschütternden Nachricht übergab ihm Miep Gies das Tagebuch seiner Tochter. Als Helferin während der zwei Jahre im Versteck hatte sie es an sich genommen, nachdem die Familie verhaftet worden war.

Das Tagebuch seiner Tochter Anne Frank als Lebensaufgabe

Anne Franks Tagebuch © Anne Frank Fonds
Anne Franks Tagebuch © Anne Frank Fonds

Nur Stück für Stück konnte Otto Frank die Zeilen seiner jüngsten Tochter lesen und war von ihren Aufzeichnungen sehr berührt. Seiner Familie in Basel berichtete er davon und versprach ihr, ihnen einige Auszüge daraus für sie ins Deutsche zu übersetzen, damit sie daran teilhaben können:

„Was ich da lese ist unbeschreiblich aufregend u. doch lese ich. Ich kann es Euch nicht schildern, ich bin auch noch nicht fertig mit Lesen und will alles erst durchgelesen haben, bevor ich Auszüge oder Uebersetzungen mache. Sie beschreibt unter anderem ihre Gefühle in der Pubertätszeit mit unglaublicher Eigenkritik.“

Bald erkannte er die Bedeutung dieses Zeitdokuments und beschloss, dass es auch andere lesen sollten. Er hoffte, damit zum besseren Verhältnis der Menschen untereinander beitragen zu können. Außerdem wollte er den Traum seiner Tochter erfüllen, die aus ihren Aufzeichnungen einen Roman über den Alltag im Hinterhaus schreiben und damit als Schriftstellerin berühmt werden wollte.

Ihm gelang die Erstveröffentlichung in einem niederländischen Verlag, die rasch vergriffen war. Der Erfolg des Tagebuchs bestimmte von nun an den Großteil seines Schaffens und bis zum Lebensende setzte er sich unermüdlich für dessen Botschaft ein.

Otto Frank an seine Mutter Alice am 7. Juli 1947

„Anne´s Buch liegt täglich vor mir, täglich rufen Leute an, ich habe viel Korrespondenz und es hält mich mehr in Atem als das Geschäft. Es geht mir ja auch näher! Ich fasse es so auf, dass es eine Aufgabe ist, die ich in ihrem Sinn auf mich nehme und wenn es etwas beiträgt zum besseren Verhältnis der Menschen unter einander, dann ist wenigstens ein Steinchen beigetragen.“

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