Hängende Dialoglabel in der Rache-Ausstellung

Rache. Geschichte und Fantasie

Direktorin und Kurator im Dialog über die Ausstellung
Porträt von Mirjam Wenzel
02. Juni 2022Mirjam Wenzel

Für unsere Ausstellung "Rache. Geschichte und Fantasie" haben wir eigens eine Dialogspur entwickelt. Darin machen wir zentrale Fragestellungen, die uns bei der Entwicklung der Ausstellung umgetrieben haben, transparent.

Dialoglabel in der Racheausstellung vor schwarzem Hintergrund, im Vordergrund der Baseballschläger des "Bear Jew" aus "Inglourious Basterds"
Das erste Dialoglabel erwartet Euch im ersten Raum der Ausstellung, gleich neben dem ikonischen Baseballschläger des "Bear Jew" aus Quentin Tarantinos "Inglourious Basterds".

(Zur englischen Version des Beitrags)

Die Dialoglabel findet Ihr an zentralen Stellen der Ausstellung. Sie basieren auf längeren Gesprächen zwischen unserer Direktorin Mirjam Wenzel und dem Lyriker Max Czollek, der Ideengeber für die Ausstellung ist und sie auch mit kuratiert hat. Auch wenn die Gedanken nicht immer genau so den Personen zuzuordnen sind, geben sie dennoch die Auseinandersetzung wieder, die die zweijährige Entwicklungsphase der Ausstellung begleitet hat.

Die erste Ausstellung zum Thema Rache in der jüdischen Kulturgeschichte

Kurator: Wie kommt es eigentlich, dass die Kulturgeschichte jüdischer Rache noch nie in einer Ausstellung behandelt worden ist?

Direktorin: Das Thema ist sehr ambivalent und die Bereitschaft, sich mit durchwachsenen Geschichten und Gefühlen auseinanderzusetzen, ist derzeit nicht besonders groß.

Kurator: Für mich liegt das Thema eigentlich seit "Inglourious Basterds" von Quentin Tarrantino (2009) in der Luft.

Direktorin: Das stimmt - zumal in den letzten beiden Jahren ja noch die Amazon-Serie "Hunters" und der Film Plan A" von Doron und Yoav Paz folgten.

Kurator: Und eine ganze Reihe von Büchern zu Racheakten von Juden an Nationalsozialisten. Bilden diese realen Rachehandlungen den Fluchtpunkt unserer Ausstellung?

Direktorin: Ja und nein. Eigentlich präsentieren wir eher eine Geschichte fantasierter Rachehandlungen, die von Jüdinnen und Juden geträumt, geschrieben und gezeichnet, ihnen aber zugleich auch zugeschrieben wurden. Also eine Geschichte von Gefühlen und Gewaltfantasien.

Kurator: Oder auch eine Geschichte über die Frage, wie sich Gerechtigkeit herstellen lässt.

Direktorin: Würdest Du das auch auf unsere Motivation beziehen, diese Ausstellung zu machen?

Kurator: Ja. Denn es geht uns ja nicht nur darum, das antisemitische Bild von den “rachsüchtigen Juden” zu dekonstruieren. Wir wollen auch die Gefühle und Geschichten ernst nehmen, die eine jahrhundertlange Gewalterfahrung jüdischerseits erzeugt hat.

Hier findet Ihr weitere Infos zur Ausstellung, eine eigene Spotify-Playlist, Medienempfehlungen, Videos sowie den begleitenden Podcast. 

Eingang zur Rache-Ausstellung im Jüdischen Museum Frankfurt

Fantasien von Ohnmächtigen

Direktorin: Eine der wirkmächtigsten Vorstellungen des Christentums besteht in der Behauptung, dass der "rächende Gott" des so genannten Alten Testaments vom "sühnenden Gott" des Neuen Testaments abgelöst wurde. Laufen wir mit dieser Ausstellung nicht Gefahr, diese judenfeindliche Unterscheidung zu bestätigen?

Kurator: Es gehört zu den besonders abgründigen Dynamiken von Diskriminierung, dass diejenigen, die Gewalt ausüben, ihren Opfern häufig auch noch ihre Gegenwehr zum Vorwurf machen.

Direktorin: Was hat das mit dieser Ausstellung zu tun?

Kurator: Das, was wir hier als Rache nachzeichnen, ist weitgehend eine fiktionale Reaktion auf die christliche Dominanzkultur, die Juden und Jüdinnen verfolgte und umbrachte.

Direktorin: Du meinst, dass Fantasie ein Instrument der Ohnmächtigen ist und die Idee der Sühne die Geste der Mächtigen?

Kurator: Ja, letztlich verdeckt die christliche Vorstellung eines sühnenden Gottes die asymmetrischen Gewaltverhältnisse der Geschichte antijüdischer Gewalt.

Empowerment

Direktorin: Meinst Du, eine jüdische Perspektive auf Rachegeschichten könnte darin bestehen, sie als eine Form von Empowerment zu verstehen?

Kurator: Ja, viele Feste im Judentum erzählen doch die Geschichte: "Man hat versucht uns umzubringen, das hat nicht geklappt, lasst uns essen."

Direktorin: Auf das Leben.

Kurator: Genau, aber das ist nicht alles; mit diesen Festen erkennen sich die Lebenden zugleich als Teil einer überlebenden Gemeinschaft, die sich erinnert, dass Rechnungen offengeblieben sind.

Direktorin: Dann wären Geschichte von Rache eine Art Fantasie, in der asymmetrische Macht- und Gewaltverhältnisse umgekehrt und korrigiert werden?

Kurator: Jahrtausende der Gewalt gehen nicht spurlos an einem vorüber. Und sie erzeugen eben nicht nur Angst, sondern auch den Wunsch, dass die anderen endlich bekommen, was sie verdienen.

Wehrhaftgkeit

Direktorin: Wir sprechen ja derzeit häufig von der Notwendigkeit einer wehrhaften Demokratie. Gibt es einen Zusammenhang zwischen jüdischen Rachegeschichten, Wehrhaftigkeit und der Verfasstheit unserer Demokratie?

Kurator: Ja und nein. Um die Aktualität von Rache-Fantasien zu verstehen, müssen wir etwas tiefer bohren.

Direktorin: Nämlich?

Kurator: Zum einen gibt es einen Zusammenhang zwischen Rachefantasien und dem Leben in einer pluralen Demokratie.

Direktorin: Rachehandlungen sind ja nicht gerade etwas Förderliches für ein plurales Zusammenleben.

Kurator: Das stimmt, aber wir sprechen ja auch von Rachefantasien, also von Erzählungen, die ein Bild davon bewahren, dass Menschen sich über die Jahrhunderte nicht nur ähnlicher wurden, sondern zugleich unterschiedliche Gewaltgeschichten erlebten, die ja auch in der Gegenwart noch eine Rolle spielen.

Jüdische Menschlichkeit

Direktorin: Warum machen wir so eine Ausstellung gerade jetzt?

Kurator: Darauf gibt es viele Antworten, denke ich. Eine wäre, dass der Kampf gegen Antisemitismus auch ein Kampf für eine Anerkennung jüdischer Menschlichkeit sein muss. Dazu gehört auch, dass Gewalterfahrungen nicht ohne Gegenwehr bleiben.

Direktorin: Eine andere Antwort wäre, dass die Aufgabe Jüdischer Museen auch darin besteht, Geschichten zu erzählen, die bislang nicht erzählt worden sind.

Kurator: Noch eine Antwort hat mit der konkreten Situation von Juden und Jüdinnen nach 1945 in Deutschland zu tun. In dem Blick der deutschen Mehrheitsgesellschaft auf die jüdische Gemeinschaft stehen Opferschaft und Versöhnung im Vordergrund.

Direktorin: Dabei waren Juden und Jüdinnen auch Akteure, die sich gegen ihre Vernichtung zur Wehr setzten. Diese Perspektive war unter anderem Arno Lustiger sehr wichtig, dessen Nachlass wir hier im Museum bewahren.

Kurator: Rache und Trauer gehören beide zu einer jüdischen Selbstermächtigung dazu. Unsere gemeinsame Menschlichkeit entsteht in der Untröstlichkeit, dass die Geschichte so geschehen ist, wie sie geschehen ist. Und dem Versuch, die Gegenwart so einzurichten, dass sich diese Geschichte nicht wiederholt.

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