Seit 2016 verfolgt das Jüdische Museum Frankfurt eine Digitale Strategie um die Sammlung und Vermittlungsangebote in den digitalen Raum zu erweitern. Der Launch der Online-Sammlung bildet einen Meilenstein innerhalb dieser digitalen Transformation, da sie neben der Kommunikation und Vermittlung nun auch die Forschung einbezieht. Sonja Thäder ist für die Realisierung der Digitalen Sammlung verantwortlich und zieht eine kurze Bilanz über das Projekt angesichts der Umstände 2020.
In der Videokonferenz werden letzte Fragen und Snapshots besprochen. „Sieht die Website bei Dir genauso aus wie bei uns? Welchen Browser benutzt Du? Sind alle Daten dort, wo sie sein sollen?“ Innerhalb von sieben Monaten haben wir es wirklich mit unserer niederländischen Agentur Fabrique geschafft, eine Website für die Digitale Sammlung aufzubauen. Gesehen in natura haben wir dieses Team nur einmal im Februar beim Pitch. Danach erreichte das Corona-Virus Europa und verbannte uns alle in unsere Häuser, Wohnungen, WG-Zimmer und Unterkünfte. Der Aufbau der digitalen Plattform konnte ausschließlich über digitale Kommunikationsmittel und -wege erfolgen. Das sollte ja heutzutage möglich sein – dachten wir uns. Aber in unserer städtischen Einrichtung offenbarten sich die gleichen digitalen Mangelzustände wie in allen anderen Kommunen: Von zuhause aus arbeiten? Remote-Zugänge zum städtischen System? Videokommunikation für städtische Mitarbeiter*innen? Wie überall auch wurde dies für uns zum Pilot und Try-and-Error-Phase in Einem.
Nun – es ging. Letztlich brauchte die Konzeptionsphase für die Website mehrere Loops, da die Kommunikation über die Lingua franca hinaus Programmier-, Design- und Museumssprachen umfasste. Was man gewohnt analog vor Ort mit Flipchart und bunten Modellen an einem Nachmittag eindeutig klären kann, braucht in internationalen Videokonferenzen einfach länger. Diese Zeit war eine Herausforderung für alle Beteiligten.
Digitale Wünsche und analoge Hürden
Ist eine digitale Sammlung heutzutage wirklich noch ein Grund um den Schampus zu öffnen? Schließlich haben wir damit nun endlich etwas umgesetzt, was technisch schon längst hätte Usus sein müssen. Während die Wirtschaft schon im Modus von Industrie 4.0 lebt und der Diskurs um Society 5.0 heißläuft, präsentieren Museen stolz ihr Digital 2.0. Ja – damit zeigt sich, dass staatliche und kommunale Museen eben nicht Avant Garde sein können, sondern durch regulierte Risikominimierung geleitet werden. Dass der ganze Hype um das Prägen und Voranbringen der Gesellschaft in Wirklichkeit ein Ringen und Kämpfen um kontinuierliche Gelder für Digitalisierung und Vermittlungsangebote sind. Noch immer sind Personalaufstockungen zur Digitalisierung in Museen überwiegend zeitlich begrenzte Projektstellen. Wir wollen mit modernsten Mitteln Bildung und Vermittlung mitgestalten – aber es gibt kein Budget für Experimente.
Ist Museumsarbeit im Jahr 2020 relevant?
Nun ist sie da: Unsere digitale Sammlung ist mit einem schönen Launch-Paket online gegangen. Aber ist das wirklich heutzutage eine Meldung wert? Die Infektionszahlen steigen wieder, Kurzarbeit ist eingeführt, Hilfspakete werden benötigt, Menschen müssen allein und krank in der Wohnungen bleiben oder sind tagtäglich in Krankenhäusern dem Virus und Leid der anderen ausgesetzt. Riesige Kontinente stehen in Flammen – ausgelöst durch Raubbau an der Natur, woran auch die Digitalisierung beteiligt ist. In demokratischen Gesellschaften treten offen rassistische Bewegungen hervor, Menschen sterben an den Grenzen Europas weil unser Kolonialerbe deren Länder langfristig traumatisiert hat. Da fällt es immer wieder schwer die Relevanz der aktuellen alltäglichen Museumsarbeit dem gegenüberzustellen.
Digitale Zugänge für eine zukunftsorientierte Gegenwartsbewältigung
Warum legen wir dennoch so viel Wert auf unseren Online-Auftritt? Was trägt er zur Verbesserung der Umstände bei? Wir möchten damit unsere Programmatik in den digitalen Raum erweitern: WIR SIND JETZT! Das Jüdische Museum Frankfurt erzählt und vermittelt Geschichte und Gegenwart einer multikulturellen Stadt durch multiple jüdische Perspektiven und Geschichten. Auf diese Art möchten wir User*innen verschiedenster Herkunft und Prägungen Identifikationsmöglichkeiten und Zugänge zu Beispielen dafür bieten wie ein friedlicher Umgang in einer offenen demokratischen Gesellschaft aussehen kann.
Online beginnt dies damit, dass wir im Zeitalter der Informationsfülle und Fake-News als eine sogenannte Trusted Source – eine vertrauenswürdige Informationsquelle – Inhalte zur Verfügung zu stellen. Wir bieten einen Online-Zugang zu Wissen und Geschichte: Bildmaterial und Informationen, Geschichten und Biographien. Auf diese Weise ermöglichen wir Forscher*innen, Lehrer*innen und Interessierten Geschichte und Gegenwart zu analysieren, zu deuten und Vorschläge für die Zukunft machen.
Innerhalb unseres demokratischen Systems verstehe ich die Museumsarbeit als stabilisierende und zuverlässige Grundlagenarbeit für eine gesunde und offene Gesellschaft. Sie ist sozusagen Teil des Back-Ends: Entstehen hier strukturelle und systematische Fehler, gibt es an der sichtbaren Oberfläche Probleme, die nicht einfach nur durch das Aufspielen neuer Inhalte gelöst werden können. Museumsarbeit – und Kulturarbeit insgesamt – daher jetzt auch digital weiterzuführen und zu fördern ist in meinen Augen eine Verpflichtung und notwendige Fortführung der Arbeit derer, die in Krankenhäusern, Fluchtunterkünften und Lebensretterschiffen Menschen für eine friedliche Zukunft am Leben erhalten.
Aufbau der Digitalen Sammlung des Jüdischen Museums Frankfurt
Unsere mehrspartige Museumssammlung bildet den Nukleus für unsere Forschungs-, Vermittlungs- und Bildungsangebote. Und genau dies wird in unserer digitalen Sammlung deutlich. Wir gehen mit ca. 320 Objekten als Launchpaket an den Start. Es handelt sich um Objekte, die auch analog in der gerade eröffneten Dauerausstellung zu sehen sind. Jedes Jahr werden mehr Objekte aus unserer Kunst-, Judaica-, Geschichts-, Gegenwarts- und Archivsammlung hinzukommen.
Wir sammeln aber nicht nur die Objekte sondern auch Geschichten. Und so sind von Anfang an Geschichten gleichwertig mit den Objekten in der Digitalen Sammlung abrufbar. Auch hier wird der Umfang Jahr für Jahr erweitert werden.
Diese Seite wird ein stetig organisch wachsender HUB sein, an dem digitale Vermittlungsformate angedockt, Projekte ausprobiert und weitere Anbindungen an überregionale Plattformen erfolgen sollen. Dazu gehört für uns auch, dass wir unsere Daten, soweit es die Rechtslage zulässt, gemäß der Idee von Open Data unter der Lizenz Jüdisches Museum Frankfurt CC BY-SA 4.0 zur Verfügung stellen. Und was danach für uns in Zukunft folgt? – the world is your oyster.
Digital – das geht sicher schnell!
Ja, das wäre schön – und Nein, so schnell geht es leider nicht. Was sich viele Museen als Umsetzung in Zweijahresprojekten erhoffen ist in Realität ein langfristiger und grundlegender Arbeitsbereich der Sammlungspflege geworden. Für das, was über Jahre nach eigenem Gusto in Sammlungsdatenbanken eingetragen wurde, musste vor dem Launch der digitalen Sammlung zunächst ein gemeinsamer Nenner entwickelt und in einer normierenden Schreibanweisung manifestiert werden. Zusammen mit dem Datenbankbetreiber Solvatec entwickelten wir eine Matrix, damit die richtigen Angaben systematisch ausgespielt werden und sensible Inhalte geschützt bleiben. Ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich die ursprünglich 360 Datensätze auf jede einzelne Facette hin durchgegangen bin. Und immer wieder fällt eine neue Unregelmäßigkeit auf: aus rechtlichen Gründen müssen Objekte herausgenommen werden, Bildlizenzen angeglichen, Notizen zu Maßangaben korrigiert werden etc.
Fazit
Wir gehen mit einer digitalen Sammlung an den Start, die immer weiter entwickelt werden kann und muss. Dass sie in der Anwendung auch barrierearm ist, resultiert nicht nur aus der EU-Richtlinie sondern auch aus der Programmatik des Museums selbst. Auch werden wir hier die Entwicklungen und Bedürfnisse immer weiterführend einbeziehen.
In Zeiten von Corona und der damit einhergehenden Isolationen hat es sich längst gezeigt, dass der digitale Zugang für uns unentbehrlich geworden ist.
Dank
Dass wir die digitale Sammlung nun launchen konnten ist das Ergebnis eines Kraftakts seitens der Agenturen Fabrique, Solvatec, Fork Unstable Media sowie der Museumsufer-IT und meinen Kolleg*innen im Jüdischen Museum. An dieser Stelle möchte ich nochmals meinen Dank für die Unterstützung ausdrücken.
Kollegiale Unterstützung und Beratung aus anderen Museen erhielten wir von Antje Schmidt (Museum für Kunsthandwerk und Gewerbe, Hamburg), Iris Blochel-Dittrich (Jüdisches Museum Berlin) und Etta Grotrian (Übersee-Museum Bremen).
Kommentare
Ihr Kommentar