„Guter Ort“, „Ort der Gräber“, „Ewiges Haus“ oder ein „Ort des Lebens und der Lebenden“: Für jüdische Begräbnisorte gibt es vielfältige Bezeichnungen. Wie kommt das? In diesem Beitrag zeichnet unsere Kuratorin für Jüdische Kulturen der Gegenwart und der Ausstellung „Im Angesicht des Todes“, Sara Soussan, ein Bild von den jüdischen Vorstellungen und Praktiken, die sich mit der letzten physischen Station eines Menschen beschäftigen.

Ein jüdischer Friedhof heißt im Hebräischen „Bejt Kwarot“, der Ort der Gräber. Der älteste jüdische Friedhof in Frankfurt ist in der Battonnstraße mitten in der Innenstadt zu finden. Das älteste erhaltene Grab dort stammt aus dem Jahre 1272, die Jüdische Gemeinschaft bestatte dort bis 1828, bevor sie den Friedhof an der Rat-Beil-Straße südlich des Hauptfriedhofs in Betrieb nahm. Nach nur rund 100 Jahren wurde auch dieser Friedhof zu klein, sodass der Neue Friedhof an der Eckenheimer Landstraße eingerichtet wurde, der bis heute von der Jüdischen Gemeinde Frankfurt genutzt wird.
Auf Ewigkeit angelegt
Neben diesen drei Hauptfriedhöfen der Frankfurter jüdischen Geschichte und Gegenwart gibt es weitere kleinere Friedhöfe in der Stadt und im Umland, wie beispielsweise in Bockenheim und Rödelheim. Die meisten Friedhöfe sind – manchmal nur noch in Spuren – sicht- und auffindbar, denn jüdische Friedhöfe sind auf die Ewigkeit angelegt, selbst wenn in der Vergangenheit immer wieder brutal versucht wurde, auch diese Orte zu vernichten. So werden jüdische Gräber zum Beispiel nicht eingeebnet, sondern sollen in alle Ewigkeit bestehen bleiben.
Darauf verweist ein weiterer Name für jüdische Friedhöfe, der aus dem Aramäischen entlehnt ist: „Bejt Almin“, das Haus der Ewigkeit. Dem liegt vielleicht die Vorstellung zugrunde, dass in einer jenseitigen, kommenden Welt irgendwann die Seele und der Körper wieder vereint sein werden.
Grabgestaltung
Jüdische Grabsteine sind – je nach Zeit und lokalem kulturellen Kontext – sehr unterschiedlich gestaltet. So findet man zum Beispiel auf dem Friedhof in der Rat-Beil-Straße sehr viele Grabaufbauten, die an Mausoleen erinnern und recht prächtig im klassizistischen Stil des 19. Jahrhunderts gestaltet sind. Traditionellere Grabsteine sind eher schlicht gehalten und weisen immer auch die hebräischen Namen der Verstorbenen sowie das Geburts- und Sterbedatum auf. Auch werden die hebräischen Anfangsbuchstaben für „Hier ist begraben…“ (פ"נ) und „Seine/Ihre Seele sei eingebunden in das Bündel des Lebens“ (ת' נ' צ' ב' ה) angebracht.
Manchmal finden sich Symbole, die auf den oder die Verstorbene hinweisen, beispielsweise auf Namensbedeutungen oder Berufe. Häufig zu finden sind beispielsweise die segnenden Hände auf Grabsteinen von Menschen, die als Nachkommen des aaronidischen Priestergeschlechts der Kohanim gelten (und deren Nachnamen häufig in Cohn, Kohn oder Cohen abgewandelt wurden). Verbreitet sind auch Symbole für Tod und Transformation, die nicht originär jüdisch sind: beispielsweise Falter bzw. Schmetterlinge, die für Metamorphose, Verwandlung und Wiederauferstehung stehen. Eine Besonderheit auf dem Friedhof in der Battonnstraße sind die vielfältigen Symbole, die die Häuserzeichen jener Häuser in der Judengasse darstellen, in denen die hier bestatteten Menschen lebten.
Steine auf jüdischen Grabsteinen als Symbol der Ewigkeit

Viele von Euch kennen bestimmt den jüdischen Brauch, beim Friedhofsbesuch kleine Steinchen auf den Grabsteinen zu hinterlassen. Woher dieser Brauch kommt ist nicht abschließend geklärt. Es ist jedoch möglich, dass er auf die Antike zurückgeht, in der oftmals Steinhaufen auf den Gräbern aufgeschichtet wurden, um die Stelle etwa vor wilden Tieren zu schützen. Natürlich liegt auch die Assoziation mit der Ewigkeitsidee nahe: Steine sind einfach haltbarere Zeichen auf einem Grab als Blumen.
Beim Begriff „Bejt haChajim“ – Ort des Lebens oder der Lebenden – sind unsere Assoziationen gefragt: Wer könnten hier die Lebenden sein? Sind es die Verstorbenen, nun im ewigen, jenseitigen Leben? Oder die lebenden Besuchenden, die den toten Ort lebendig halten? Die letzte These wird von den Ergebnissen unserer Interview-Studie auf den Frankfurter Jüdischen Friedhöfen gestützt: Aus der ganzen Welt kommen Besucherinnen und Besucher hierher, um die Begräbnisorte mit ihren Gräbern bedeutender Persönlichkeiten zu besuchen und verbinden sich so selbst mit der alten, reichen Frankfurter jüdischen Geschichte. Einen Interviewfilm dazu könnt Ihr in der aktuellen Wechselausstellung „Im Angesicht des Todes“ noch bis zum 6. Juli 2025 sehen. Auf YouTube findet Ihr einen kurzen Ausschnitt aus dem Film.
Rituelles Händewaschen

Beim Verlassen eines Friedhofs ist es Brauch, sich rituell die Hände zu waschen. Hierzu stehen zumeist Waschmöglichkeiten am Ausgang bereit. Dies symbolisiert die Loslösung von der Begegnung mit dem Todesort und der Hinwendung zurück zum Leben. Die Künstlerin Aviva schildert dies im Katalog zu unserer Ausstellung so: „Es ist dieser Moment, in dem kühles Wasser über die noch leicht staubigen Hände fließt, nachdem Tränen geflossen sind. Nachdem ein kleiner Stein gelegt wurde, oder zwei. Nachdem wir ein letztes Mal Abschied genommen haben, vermutlich für immer. Es ist dieser Moment des rituellen Händewaschens nach einer Beerdigung, einer Grabsteinlegung oder ‚Jahrzeit‘, der mich jedes Mal zurückholt, erinnert, dass ich und mein Körper noch eins sind, dass ich im Hier und Jetzt, vollkommen und lebendig bin. Trotz Schmerz und Trauer. Oder vielleicht, weil beides hier aufgehoben und gehalten ist, an diesem „Guten Ort“, wie der Friedhof im Jiddischen auch genannt wird.“
Friedhofsführungen
Im Rahmen unserer aktuellen Wechselausstellung „Im Angesicht des Todes“ bieten wir zahlreiche Führungen über die jüdischen Friedhöfe Frankfurts an. Dabei erfahrt Ihr mehr über jüdische Begräbniskultur, die Geschichte der einzelnen Friedhöfe und die hier bestatteten bekannten und weniger bekannten Persönlichkeiten der Stadtgeschichte. Die Termine findet Ihr in unserem Kalender.
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