Linda Wiesner erforscht die Provenienz unserer Judaica-Sammlung. Heute wirft sie einen Blick auf die Eröffnung des ersten Jüdischen Museums in Frankfurt vor 100 Jahren.
Vor 100 Jahren, am 06.03.1922, wurde in Frankfurt feierlich das Museum jüdischer Altertümer eröffnet. Es war damit eines der ersten Museen in Deutschland, das sich explizit der Sammlung und Präsentation von Sachzeugnissen jüdischer Kultur und Religion widmete. Um die Jahrhundertwende setzte ein verstärktes Interesse an diesem Kunstschaffen ein, Ausstellungen in Paris und London vermittelten einen Eindruck vom Gestaltungsreichtum jüdischer Zeremonialobjekte.
Gesellschaft zur Erforschung jüdischer Altertümer
Maßgeblich für die Errichtung des Museums war die Gesellschaft zur Erforschung jüdischer Altertümer. Gegründet wurde sie von Heinrich Frauberger (1845-1929), dem Direktor des Düsseldorfer Kunstgewerbemuseums und Charles L. Hallgarten (1838-1908). Hallgarten war zu dieser Zeit als Mäzen und Förderer in über 40 Vereinen der Stadt aktiv. Heute fast unbekannt, zeigt sich seine Bedeutung für Frankfurt daran, dass mehr als 20.000 Menschen seinem Beerdigungszug folgten, als er 1908 starb.
In den seit 1902 erscheinenden Veröffentlichungen der Gesellschaft, dem Notizblatt, wird der Zweck des Vereins in der Ausgabe von 1928 nochmals erklärt. So sammelte die Gesellschaft Objekte und Abbildungen von Judaica-Objekten und Synagogen mit dem Schwerpunkt auf historischen Zeugnissen. Dieses Material stellte sie der Forschung wie auch interessierten Laien zur Verfügung. Sie engagierte sich für den Erhalt alter jüdischer Kunstdenkmäler und sie förderte die künstlerische Gestaltung jüdischer Kultus- und Kulturgegenstände. Die Gesellschaft sammelte Objekte und Abbildungen und berichtete in ihren Publikationen über ihre Aktivitäten, unterstützt durch Spenden von Mitgliedern in ganz Deutschland und Europa.
Eröffnung des Museums in der Fahrgasse
Schwierig gestaltete sich die Suche nach geeigneten Ausstellungsräumen, eine umfangreiche Schau fand z.B. 1908 in den Räumen der Düsseldorfer Kunstgewerbeschule statt. Der Ausbau des ehemaligen Rothschildschen Bankhauses in der Frankfurter Fahrgasse 146, das der Israelitischen Gemeinde gehörte und die Bereitstellung einiger Räume des Hauses durch die Großzügigkeit der Familie von Rothschild bot schließlich die Möglichkeit, ein Museum zu eröffnen. Eine Bedingung der Rothschilds für die Unterstützung war, dass Privatkontor und Sekretariat der Bank als „historische Räume“ im Originalzustand erhalten bleiben sollten.
Unter der Leitung von Julius Goldschmidt (1858-1932), der nach dem Tod Charles Hallgartens 1908 Leiter der Gesellschaft zur Erforschung jüdischer Kunstdenkmäler geworden war, wurde das Museum jüdischer Altertümer und von Rothschild Museum, so der offizielle Name, schließlich von Israelitischer Gemeinde und Gesellschaft eröffnet. Seine Aktivitäten wurden in regelmäßigen Berichten im Gemeindeblatt der Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main begleitet.
In einer dem von Rothschild Museum gewidmeten Ausgabe des Notizblattes von 1931 erinnert sich Hermann Gundersheimer (1903-2004), von 1932 bis 1939 Oberkustos dieses Museums an dessen Anfänge:
„Die Gesellschaft zur Erforschung jüdischer Kunstdenkmäler, die selbst schon einen reichen Besitz an jüdischen Kunstgegenständen hatte, die sie als Leihgabe zur Verfügung stellte, übernahm die Einrichtung und den Ausbau sowohl des v. Rothschild Museums als des Museums jüdischer Altertümer. Während dieses vorbereitenden Stadiums wurde die Sammlung jüdischer Kunstgegenstände durch zahlreiche Geschenke sehr vergrößert, besonders durch eine Reihe hervorragender Stücke, die Baronin Mathilde v. Rothschild dem neugegründeten v. Rothschild Museum überließ. So waren wir in der glücklichen Lage, am 6. März 1922, dem 90. Geburtstag der Baronin Mathilde v. Rothschild, das v. Rothschild Museum und das Museum jüdischer Altertümer in Gegenwart der Behörden und vieler Mitglieder der v. Rothschild’schen Familie feierlich zu eröffnen. In den nun folgenden Jahren wurden die Sammlungen zusehends durch Ankäufe, Geschenke und Leihgaben vergrößert.“
Bericht der KöZ über die knapp 14 Tage früher erfolgte Eröffnung des "Museums jüdischer Altertümer", des ersten jüdischen Museums in #Frankfurt. Fazit: "Die an Museen reiche Stadt Frankfurt ist durch die Neugründung ohne Zweifel um eine einzigartige Schau bereichert worden, (1/2) pic.twitter.com/Lf171gWHXq
— Kölnische Zeitung vor 100 Jahren (@Koelnische100) March 18, 2022
Die Sammlung des Museums
Die im Museum gezeigte Sammlung setzte sich also zusammen aus dem Besitz der Gesellschaft zur Erforschung jüdischer Kunstdenkmäler, der israelitischen Gemeinde, der Synagogen (besonders Börneplatz), der städtischen Museen (Historisches Museum und Museum für Kunstgewerbe, heute Museum Angewandte Kunst), privater Leihgaben und eben einer großzügigen Schenkung der Familie Rothschild.
Innerhalb kurzer Zeit gelang es, eine in Größe und Qualität bemerkenswerte Sammlung aufzubauen. Bedeutende Schenkungen, wie die des Sammlers Siegmund Nauheim (1879-1935), der seine umfangreiche Sammlung per Testament der Gesellschaft vermachte, erfreuten sich bei den Besucherinnen und Besuchern der Museumsräume großer Beliebtheit.
Die Zerstörung des Museums im Novemberpogrom
Im Zuge der Novemberpogrome 1938 wurde in das Haus in der Fahrgasse 146, in dem sich neben den Museumsräumen die Verwaltungsräume der Israelitischen Gemeinde sowie die umfangreiche Bibliothek und das Archiv befanden, eingebrochen, das Gebäude verwüstet und schließlich zerstört.
Eine Vielzahl von Objekten des Museums wurde danach von Ernstotto Graf zu Solms-Laubach, Direktor des Historischen Museums, zwischen 1934-45 Stadtgeschichtliches Museum, in die Räumlichkeiten seines Museums verbracht. Nach einer zwischenzeitlichen Beschlagnahme durch die Gestapo wurden schließlich rund 1.000 Objekte aus dem Museum jüdischer Altertümer im Historischen Museum verwahrt. Einige wurden während der Bombardierungen im Krieg zerstört, andere wurden durch Auslagerung gerettet.
Insgesamt umfasste die Sammlung des Museums jüdischer Altertümer laut Schätzung der 1946 von der Commission on European Jewish Cultural Reconstruction erstellten "Tentative List of Jewish Cultural Treasures" 18.000 Objekte und Abbildungen. Inventare sind jedoch nicht überliefert, da die Unterlagen in den Novemberpogromen 1938 zerstört wurden.
Was verbindet uns mit dem Museum jüdischer Altertümer?
Etwa 1.000 Objekte hatte der Direktor des Historischen Museums, Ernstotto Graf zu Solms-Laubach während der Novemberpogrome aus dem Museum in sein Haus verbracht. 50 Jahre nach der Zerstörung des ersten Jüdischen Museums in Frankfurt kamen einige davon an das neu gegründete Jüdische Museum, das am 9. November 1988 eröffnete. Durch einen Magistratsbeschluss wurde entschieden, die Objekte als Grundstock der Sammlung an unser Haus zu geben. Darunter befanden sich Objekte für die synagogale Verwendung wie auch solche für den häuslichen Gebrauch. Da die Unterlagen aus dem ersten jüdischen Museum in Frankfurt vernichtet wurden, lässt sich nicht für jedes der Objekte sagen, ob sie aus Synagogen oder dem Museum entwendet worden waren.
Nachweislich im Museum jüdischer Altertümer war aber zum Beispiel dieser schöne Torazeiger mit Löwenfigur, der in der jüdischen Gemeinde in Wetzlar schon im 18. Jahrhundert verwendet wurde. Anhand von Zeitungsartikeln konnte ich ihn identifizieren. Im Jüdischen Gemeindeblatt für Frankfurt wird berichtet, dass er 1937 durch eine Verteilungsorganisation, die Denkmalschutzstelle des Preußischen Landesverbandes jüdischer Gemeinden, an das Museum gegeben worden war.
Bereits 1988 thematisierte das Jüdische Museum mit der Ausstellung und der Publikation Was übrig blieb die Geschichte des Museums jüdischer Altertümer und seiner Objekte, die sich heute nicht nur bei uns, sondern auch in anderen Museen, wie dem Jüdischen Museum in New York und dem Israel Museum in Jerusalem befinden. Dorthin gelangten sie nach dem Krieg durch die Verteilung der im Historischen Museum befindlichen Judaica-Objekte durch die Jewish Cultural Reconstruction (JCR).
Noch keine Kommentare. Diskutieren Sie mit.
Ihr Kommentar