Die brennende Börneplatzsynagoge Frankfurt 1938

"Katastrophe vor der Katastrophe"

Über die Novemberpogrome 1938 in Frankfurt
Porträt von Heike Drummer
09. November 2024Heike Drummer

In diesem Beitrag unserer Kuratorin für Zeitgeschichte, Heike Drummer, erinnern wir an die Ereignisse während der Novemberpogrome 1938 in Frankfurt, an die „Katastrophe vor der Katastrophe“.

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 verwüsteten SA-Leute, Teile der Hitler-Jugend, Symphatisierende mit dem nationalsozialistischen Regime und ein gewaltbereiter Mob reichsweit Einrichtungen jüdischer Gemeinden, Wohnungen und Geschäftsräume. In den folgenden Tagen verhafteten Beamte der Geheimen Staatspolizei und Helfershelfer aus Polizei, SA und SS Tausende als jüdisch verfolgte Männer und verschleppten sie in Konzentrationslager. Im Vergleich zu anderen Großstädten zeichnete sich der Furor in Frankfurt durch die „besonders radikale und brutale Färbung“ aus (Wolfgang Wippermann); der Grund mag in der Tradition Frankfurts als der „jüdischen Stadt“ gelegen haben. Besonders betroffen waren die Innenstadt wie das Ostend.

Am 10. November 1938 schrieb Hedwig Kracauer an ihren Neffen Siegfried Kracauer und dessen Ehefrau Lili in Paris: „Eben hören wir, dass die Synagoge an der Friedberger Anlage brennt. Dies verbessert unsere Stimmung nicht gerade. Oft lasse ich unnützer Weise meine Phantasie spazieren gehen. Dass aber solche Dinge passieren können wie in den letzten Tagen, auf so etwas kommt auch keine ausschweifende Phantasie.“ Die Schwestern Hedwig und Rosette Kracauer wurden 1942 aus Frankfurt nach Theresienstadt deportiert und im Vernichtungslager Treblinka ermordet.

Zerstörung der Synagogen in Frankfurt

Die brennende Börneplatzsynagoge Frankfurt 1938
Die brennende Börneplatzsynagoge Frankfurt 1938. Zu sehen sind auf dem Foto auch zahlreiche Schaulustige. Foto: Jüdisches Museum Frankfurt

Den vornehmlich von SA-Trupps gelegten Bränden fielen die drei großen Synagogen im östlichen Innenstadtbereich, aber auch die Synagogen in den Stadtteilen zum Opfer. Die Feuerwehr schützte nur jeweils angrenzende Gebäude vor den Flammen. Das rettete die noch heute bestehende Westendsynagoge vor vollständiger Zerstörung. Die meisten Menschen begegneten den brutalen Ausschreitungen mit Gleichgültigkeit.

Der 17jährige John J. Neumaier, damals hieß er Hans-Joseph, fuhr am 10. November mit der Straßenbahn in die Innenstadt, um sich ein Bild der Lage zu machen: „In der Nähe des Opernplatzes hatte sich eine Menge vor einem Schuhgeschäft eingefunden. Dessen Scheiben waren zertrümmert, die Schuhe und Schachteln lagen zwischen den Glasscherben verstreut. Weiter in die Stadt hinein gab es auf der Zeil mehr Zerstörung, zerbrochene Schaufensterscheiben, neugierige Zuschauer und SA-Männer, die die Juden lauthals mit Schimpfwörtern belegten.“ Mit dem Geschäft „Ernst Lochner & Horkheimer“, Liebfrauenberg 39, wurde eine der seinerzeit bekanntesten Tuchgroßhandlungen Frankfurts verwüstet. Nach Zeugenaussagen lagen am Morgen des 10. November die Stoffballen auf dem Liebfrauenberg und in der Neuen Kräme. Inhaber Emil B. Horkheimer wurde im August 1942 nach Theresienstadt verschleppt und bald darauf ermordet.

Franz Ephraim Wagner erinnerte die Vorgänge bei der Hauptsynagoge. Er überlebte die Haft im Lager Buchenwald und rettete sich 1939 nach Palästina.

Die Synagoge stand in Flammen. SA-Leute liefen hin und her und hielten die Menschenmengen, die sich dieses erschütternde Schauspiel ansahen, davon ab, sich dem brennenden Gebäude zu nähern. […] Aber die meisten gafften nur auf das brennende Gotteshaus und schienen sich daran zu ergötzen, daß den immer noch in Frankfurt verweilenden Juden nun der Boden unter den Füßen heiß genug sei, um das angestrebte Ziel zu verwirklichen, nämlich die Stadt ‚judenrein‘ zu machen.

Schicksal der Frankfurter Betstuben und Klausen

Tora-Unterricht mit Rabbiner Eschwege in der „Klaus“, Ostendstraße 15, um 1925
Tora-Unterricht mit Rabbiner Eschwege in der „Klaus“, Ostendstraße 15, um 1925. Foto: Israel Nir, Israel

Simon Brückheimer, Lehrer jüdischer Herkunft aus Mainfranken, verdanken sich Hinweise über das Schicksal der Frankfurter Betstuben und Klausen; etwa 40 Einrichtungen, von denen ein guter Teil vor Zerstörung verschont blieb: „In der ‚Klaus‘ wurde Feuer gelegt […]. Die Wimpeln […] hängte der Pöbel an das Gitter des Vorgartens und spuckte sie an. Manche der Eindringlinge hängten sich die Gebetmäntel um ihre Schultern und gingen so auf den Straßen umher. Das Gebäude in der Ostendstraße 15 wurde von einem Anwohner, einem Möbeltransporteur, billig erworben, und die Synagoge als Lagerraum benutzt.“ Brückheimer floh nach Großbritannien.

Stolperstein für Rabbiner Moritz Mainzer.
Stolperstein für Rabbiner Moritz Mainzer. Er erlitt infolge eines gewaltsamen Angriffs durch SS-Leute einen Herzinfarkt, an dessen Folgen er Ende November 1938 im Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde verstarb. Foto: Alfons Maria Arns

In der Publikation „Zehn Nachtwachen“ erinnerte sich Rudolf M. Heilbrunn, der zum Zeitpunkt der Pogrome arglos in Ascona weilte: „Am 10. November telegrafierte man mir aus Frankfurt, daß mein Vater in seiner Wohnung wohlbehalten sei. Zeitungsnachrichten erklärten diese unverständliche Nachricht.“ Diese Bemerkung rekurriert auf die Verhaftungen von Juden im Alter zwischen 18 und 60 Jahren. – John J. Neumaier wusste: „In Frankfurt und Umgebung war der Jüngste […] 14, der Älteste 84.“ Der Vater Heilbrunns, der Jurist, Politiker und Mäzen Ludwig Heilbrunn, war 68 Jahre alt und hatte zunächst einfach nur großes Glück von der Verhaftung verschont geblieben zu sein.

Rücksichtslos und oft mit roher Gewalt wurden die Männer noch in besagter Nacht oder den nächsten Tagen aus ihren Wohnungen, Häusern oder vom Arbeitsplatz geholt. Moritz Mainzer etwa wurde bereits am Vorabend der Novemberpogrome auf der Straße verhaftet. Drei Tage hielten unbekannte Schergen den Frankfurter Rabbiner willkürlich fest. Krank kam er zurück nach Hause in die Rhönstraße zu der Ehefrau und den Töchtern. Über die Haft soll er nicht gesprochen haben. Am 12. November morgens um 5 Uhr kamen vier uniformierte SS-Leute zur Wohnung, um Moritz Mainzer erneut abzuholen. Die Terrorbande zerschlug das Mobiliar, Kristall und die Antiquitätensammlung, stahl Geld, Uhren und wertvolle Bücher. Durch die Aufregung erlitt Mainzer einen Herzinfarkt, an dessen Folgen er Ende November 1938 im Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde verstarb. Rabbiner Mainzer wurde 50 Jahre alt.

Sammelpunkt in der Frankfurter Festhalle

Historisches Foto der Frankfurter Festhalle
Historisches Foto der Frankfurter Festhalle, um 1930. © Messe Frankfurt, Historisches Archiv

Die Männer wurden in die Festhalle gebracht und von den dort in Wechselschichten ihren Dienst versehenden SA- und SS-Leuten, von Beamten der Geheimen Staatspolizei sowie der Frankfurter Schutzpolizei körperlich misshandelt, beschimpft, gedemütigt sowie ihrer Wertgegenstände und ihres Bargeldes beraubt. Von diesem jetzt gefängnisgleichen Sammelpunkt aus wurden innerhalb weniger Tage mehr als 3.000 Frankfurter Juden in Bussen zunächst zum Südbahnhof in Sachsenhausen gefahren und dann mit Personenzügen in die Konzentrationslager Buchenwald und Dachau deportiert. Zeugen berichteten von Prügeln während des Transports, ausgeschlagenen Zähnen und anderen Gewalttaten. Auf symbolischer Ebene mag es vor allem für das Bildungsbürgertum eine zusätzliche Demütigung dargestellt haben, dass die reichsweit größte Zahl jüdischer Männer aus Goethes Frankfurt in das Lager Buchenwald nahe der Klassikstadt Weimar verschleppt wurde.

Weit mehr Personen als noch in den Jahren zuvor nahmen sich jetzt das Leben; häufig waren es hochbetagte Menschen, die im „Dritten Reich“ keinerlei Perspektive mehr für sich sahen, unter ihnen – bislang ist es noch nicht systematisch untersucht – sehr viele Frauen.

1945 – sieben Jahre nach den Exzessen – fragte Rabbiner Leopold Neuhaus als Überlebender der Schoa: „Wer könnte vergessen, wie beherzt jüdische Männer in die brennenden Flammen hineingingen, um die Gesetzesrollen zu retten? Wer könnte vergessen, daß man sie witzelnd und lachend daran hinderte?“

Erinnerungsveranstaltungen in Frankfurt

Auch in diesem Jahr finden wieder Erinnerungsveranstaltungen statt:

  • Die Initiative 9. November lädt am Ort der zerstörten Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft um 17 Uhr dazu ein, Kerzen anzünden.
  • Die Stadt Frankfurt erinnert am 10. November um 11 Uhr bei einer Gedenkstunde in der Paulskirche an an die Ereignisse der Pogromnacht 1938.
  • Das Jüdische Museum Frankfurt veranstaltet jedes Jahr anlässlich des Jahrestages der Novemberpogrome eine LernNacht. Dieses Jahr eröffnen wir zu diesem Anlass am Sonntag, 10. November eine neue Ausstellung im Gewölbekeller "Goldener Apfel". Hier erfahrt Ihr mehr darüber.

Besonders ans Herz legen wir Euch die Führungen zum Thema durch die Festhalle, die wir künftig regelmäßig in Kooperation mit der Messe Frankfurt anbieten. Die nächsten Termine: 11. November 2024 (ausgebucht), 20. Januar und 27. Januar (ausgebucht) sowie 28. April 2025, jeweils 18 Uhr. Anmeldungen per E-Mail an: fuehrungen@messefrankfurt.com

Heike Drummer

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