Offen trotz Corona

Über die Wiedereröffnung des Museum Judengasse
09. Mai 2020Werner Hanak

Das Museum Judengasse ist das erste Jüdische Museum in Europa, das seine Pforten in der Corona-Krise wieder öffnet. Was mussten wir tun, um unser Team und unser Haus für die neuen Gegebenheiten vorzubereiten? Ein Blick hinter die Kulissen eines Museums, das niemals schläft.

Zwei Besucher*innen mit Gesichtsmaske im Museum Judengasse
Unsere ersten Besucher*innen nach dem Lockdown, ausgestattet mit eigenen Gesichtsmasken. Herzlich willkommen!

Über sieben Wochen war das Museum Judengasse wegen der Corona-Epidemie geschlossen. Am Dienstagmorgen, den 5. Mai 2020, durften wir wieder die ersten Gäste begrüßen, ein Ehepaar aus Offenbach. Statt ihrem geplanten Urlaub auf den Kanaren begannen sie an diesem Tag eine Tour durch die Frankfurter Museen – und zwar bei uns.

Digitale Offensive

Screenshot einer Videokonferenz mit dem Team des Jüdischen Museums Frankfurt
Zu den neuen Routinen in Zeiten von Corona gehören tägliche Videokonferenzen.

Die Wochen und Tage, bevor die ersten Gäste unser Museum betreten konnten, waren intensiv. Sie begannen Mitte März mit der schmerzlichen Absage und Verschiebung unseres großen internationalen Symposiums "Zwischenzeiten. Zur jüdischen Diaspora in Europa" und unseres exklusiven Gala-Abends mit erstmaliger Verleihung des Ludwig Landmann-Preises an Saul Friedländer. Es folgte der Umzug eines Großteils unseres Teams ins Homeoffice und die Zeit der Videokonferenzen, mit denen wir uns bis heute täglich miteinander verbinden.

Um unserem Bildungsauftrag weiterhin gerecht zu werden, starteten wir eine digitale Offensive. Blog, Website und die Social-Media-Kanäle wurden nun unser wichtigster Draht in die Öffentlichkeit und zu unseren Besucher*innen. In kurzer Zeit entwickelten wir Formate wie "Tacheles – Videocast zur Krise" und brachten ein pädagogisches Angebot für Kinder in digitaler Form zu unseren Besucher*innen nachhause. Und immer hatten wir unser großes Ziel auf dem Radar: die Wiedereröffnung des Jüdischen Museums im renovierten Rothschild-Palais und dem neuen Lichtbau im kommenden Herbst – mit einem anfänglich bangen, aber bald beruhigten Blick auf die Baustelle, wo die ganze Zeit hindurch weitergearbeitet wurde.

Erste Szenarien für die Wiedereröffnung

Stets kehrten wir aber zu der Frage zurück: Wann können wir das Museum Judengasse wieder öffnen? Aus Frankfurt, Deutschland und ganz Europa kamen die unterschiedlichsten Signale. Bereits in der ersten Aprilhälfte tauschten sich die Direktor*innen der acht kommunalen Museen Frankfurts über erste Szenarien einer mögliche Wiedereröffnung aus, ein Zeugnis Frankfurter Schwarmintelligenz im besten Sinne. Der Tenor war klar: Eine Öffnung der Museen für Individualbesucher*innen ist auch während der Corona-Krise möglich, die inzwischen erprobten Hygienemaßnahmen aus dem öffentlichen Zusammenleben lassen sich gut auf den Museums- und Ausstellungsbesuch übertragen. In diesem Sinne plädierten die Direktor*innen einvernehmlich dafür, so bald wie möglich wieder zu öffnen. Und sie fanden bei der Frankfurter Kulturdezernentin offenes Gehör und Unterstützung.

Die Ausstellung als sichere Bühne

Ein Museum verfügt mit seinen Ausstellungsräumen über Bühnen im besten Sinne. Licht, Perspektiven, Blickachsen, Wörter, Farben, Akustik – nichts ist zufällig, alles inszeniert. Dabei hat das Museum als Bühne in der momentanen Situation dem Theater gegenüber einen unschätzbaren Vorteil: Es gibt keinen Zuschauerraum, in dem das Publikum platzsparend untergebracht werden muss. Das Museumspublikum hat seine Sitze bereits verlassen, ist auf die Bühne geklettert und selbst zum Akteur geworden. Und diejenigen, die die Ausstellung kuratiert und gestaltet haben, haben sie mit der Eröffnung bereits verlassen. Sie haben einen Raum kreiert, den die Besucher*innen nun in Besitz nehmen, und in dem sie ihre mitgebrachte Zeit und Aufmerksamkeit verteilen. So kann in der Ausstellung, wie im Theater, ein Drama entstehen, doch es spielt sich nicht zwischen Schauspielern, sondern zwischen den Besucher*innen und den Objekten ab. Eine in Viruszeiten sichere Konstellation.

Plexiglasschutz im Museum Judengasse, Kassenbereich
Eine Plexiglaswand an der Kasse des Museum Judengasse schützt unsere Mitarbeiter*innen und Besucher*innen gleichermaßen.

Kein Wunder, dass die Ausstellung, in der sich die Akteur*innen ihren eigenen Weg bahnen, der Stadt sowie einem ihrer kondensierten Miniformate, dem Supermarkt, in räumlicher Hinsicht ähnlicher ist als dem Theater. So konnten wir hier gut auf räumliche Erfahrungen zurückgreifen: Ein Raum mit der Kasse (im Museum zu Beginn, im Supermarkt am Ende), geschützt durch einen Spuckschutz aus Plexiglas, eine Rechnung mit einem Platzbedarf von 20m2 pro Person, um die maximale Auslastung bestimmen zu können und schließlich der im öffentlichen Leben etablierte Mindestabstand zwischen den Besucher*innen von 1,5 bis 2 Meter, der engere Passagen im Museumsrundgang zu einer spannenden Herausforderung werden ließ.

Task Force

Aufsteller mit Hygienehinweisen im Museum Judengasse
Aufteller mit Hygienehinweisen im Museum Judengasse. Die Aufsteller stammen von inditec, Bad Camberg, das Graphic Design von Deserv, Raum und Medien Design, Wiesbaden, und die Piktogramme von Markwald und Neusitzer Identity, Frankfurt.

Zügig begann unser Team mit den Planungen und den notwendigen Recherchen in alle Richtungen: Wo lassen sich Masken auftreiben? Wo die zwingend erforderlichen Hygienemittel? Wie kann der Plexiglasschutz angebracht werden? Hier waren schnelle und unkonventionelle Lösungen gefragt. Hinsichtlich der zu treffenden Maßnahmen erhielten wir genauere Vorgaben, die das Gesundheitsamt und das Kulturamt in Absprache mit den Museumsdirektor*innen erarbeitet hatten. Das Ziel dieser Vorgaben war, sowohl unsere Mitarbeiter*innen als auch die Besucher*innen weitestgehend zu schützen. Um diese Anforderungen grafisch einfach und klar kommunizieren zu können, entschieden wir uns für Info-Aufsteller im Raum. Ihre knallige Erscheinung mit der violetten CI-Farbe des Museums Judengasse, konsequent in Deutsch-Englisch gehalten, kommuniziert auffällig und klar. 

No more hands-on?

Hands-on-Station im Museum Judengasse
Aus hygienischen Gründen derzeit nicht in Betrieb: Hands-On-Station im Museum Judengasse.

Schließlich gab es auch schwierige Entscheidungen zu treffen und wir mussten uns vorerst von liebgewonnenen Errungenschaften trennen. Speziell für Kinder und Jugendliche sind Hands-On- und Hörstationen ein wichtiger Bestandteil des Rundgangs, eine multisensorische interaktive Erweiterung der Ausstellung. Doch gerade das Berühren von Gegenständen und Touchscreens sowie das Aufsetzen von Kopfhörern stellt in Zeiten von Corona eine hygienische Herausforderung dar. Deshalb verzichten die Frankfurter Museen im Einvernehmen mit dem Gesundheitsamt und dem Kulturdezernat vorerst darauf.

Da wir mit unserem ganzen Herzblut der new museology daran interessiert sind, auf diese neue Art des Erzählens zur gegebenen Zeit wieder zurückkehren zu können, spielten wir mehre Szenarien durch: Desinfektion durch unsere Aufsichts-Mitarbeiter*innen, Angebote an die Besucher*innen, vor und nach dem Benutzen der Stationen die Hände zu desinfizieren. Und baten jene um Mithilfe, die diese Stationen selbst benutzen würden oder für ihre Kinder diese Entscheidung treffen müssten.

Onlineumfrage zu Hygienemaßnahmen

Ergebnisse einer Onlineumfrage zu Hygienemaßnahmen im Museum Judengasse
Die Ergebnisse unserer Onlineumfrage zu Hygienemaßnahmen im Museum Judengasse.

Am 27. April starteten wir auf unseren Social Media Kanälen eine Umfrage zu den hygienischen Bedürfnissen unserer Besucher*innen mit Blick auf die Ausgabe von Audioguides, die Hands-On-Stationen und die Bedienung von Touch-Screens. Die Antworten waren eindeutig: So sehr unsere Angebote, zahlreiche Desinfektionsmittel zur Selbstbenutzung im Ausstellungsraum zu verteilen, begrüßt wurden, so sehr sprachen sich die Befragten dafür aus, Audioguides derzeit nicht auszugeben und Hands-On-Station zu sperren. Wir beschlossen daher kurzerhand, unser beliebtes Mitmachheft, das den Geist der Hands-On-Stationen in sich trägt, in dieser speziellen Zeit allen besuchenden Kindern zu schenken.

Aus Guides werden Besucherbetreuer*innen

In der letzten Aprilwoche zeichnete sich der 5. Mai 2020 intern als Tag der Wiedereröffnung immer deutlicher ab und wir begannen, die Mitarbeiter*innen an der Kasse und die Aufsichten zu kontaktierten sowie Manuals für ihren Dienst unter den neuen Bedingungen zu erarbeiten. Unsere Guides, die normalerweise durch das Museum führen und Workshops leiten, hatten wochenlang keine Aufträge erhalten, weshalb die Stadt Frankfurt versuchte, ihren Verdienstausfall auszugleichen. Da Gruppenführungen vorerst nicht möglich sind, bereiteten wir sie auf eine neue Form der Besucherbetreuung durch Einzelgespräche vor. Schließlich durften wir uns darüber freuen, dass uns unser Sponsor Evonik Industries Desinfektionsmittel zur Verfügung stellt.

Mit schicker Maske ins Museum

Schicke Gesichtsmaske aus dem Museum Judengasse
Unsere schicke Mund- und Nasenmaske "say gensunt" wurde in Frankfurt handgefertigt, mit freundlicher Unterstützung von Pelze am Dornbusch, Jakob & Tatze und Seven Cards.

Last but least entstand auf den letzten Metern, in Wochenend- und Nachtarbeit ein tolles Produkt, das eine wichtige Schutzfunktion erfüllt und wohl auch retrospektiv für die Corona-Zeit stehen wird: Unsere dunkelblaue Gesichtsmaske mit der jiddischen Aufschrift "Say gesunt", gedruckt sowohl in lateinischen als auch hebräischen Lettern, gestaltet und produziert von drei kreativen Frankfurterinnen.

Am Montagabend waren die ersten 100 Masken fertiggestellt, die Aufsteller im Museum platziert, die Hands-On-Stationen außer Betrieb genommen, Kopfhörer verstaut und die Räume gelüftet. Tagsüber nutzten wir das leere Museum noch für das filmische Setting zu dem Gespräch mit Rabbinerin Delphine Horvilleur, das wir eine Woche nach der Wiedereröffnung als unsere erste digitale Veranstaltung live ausspielen wollen, drehten ein kurzes Begrüßungsvideo für Social Media und gingen noch einmal die geplanten neuen Abläufe durch.

Wir waren also bereit und begrüßten ab Dienstagmorgen nicht nur unsere Gäste, die ihre eigenen Masken mitgebracht hatten, wie das Ehepaar aus Offenbach, sondern auch Besucher*innen, die sich auf unsere Masken freuten. Wenn wir auch hoffen, dass die Zeit der Masken möglichst bald vorbei ist, so denken wir gerne daran, dass sich unserer Besucher*innen – draußen in der Stadt –  nun gegenseitig erkennen.

Werner Hanak

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