Die Kabinettpräsentation „Hin-/Zu-/Anwendungen“ in der Dauerausstellung des Jüdischen Museums zeigt Werke von zwei jüdischen Künstlern aus Deutschland und Israel, die verschiedenen Generationen angehören und mit verschiedenen Medien sowie kulturellen Bezügen arbeiten. Was die beiden Positionen miteinander verbindet, ist eine Reflexion über die menschliche Neigung, sich mit der Bitte um Schutz und Erfüllung von existentiellen Wünschen an übernatürliche Kräfte zu wenden – sei es im Gebet, im Ritual oder im Schaffen von beschützenden Stellvertreterfiguren.
Ofir Barak hat mittels Makro-Fotografie das Leben von Gebetszetteln in der Kotel, der Westmauer des Salomonischen Tempels, eingefangen. Seine Schwarzweiß-Serie „Chrysalis“ gibt die organischen Strukturen des Papiers und deren langsamen Zerfall mikroskopisch wieder und verfremdet so deren ursprünglichen Sinn. Visuell zu neuem Leben erweckt, künden die Zettel von vergangenen Wünschen, die sich aufzulösen scheinen. Welche Hoffnungen und Bitten waren mit ihnen verbunden? Haben sie sich eingelöst?
Die interaktive Medienskulptur „Seventynine (Der Golem)“ von Michael Bielicky lädt zum Gespräch ein. Sie besteht aus einer Glaskugel auf einem Flaschenständer, auf die ein Text projiziert wird, der zugleich im Raum erschallt. Der Text besteht aus – nur in Teilen verständlichen – Antworten auf Fragen, Bitten und Wünsche der Besuchenden, die via Mikrophon gestellt oder artikuliert werden können. Der Titel der Arbeit spielt auf die jüdische Legende des Golems an, dessen Name in der Buchstabenmystik der Zahl Neunundsiebzig entspricht. Der zeitgenössische Golem besteht indessen nicht mehr aus Lehm, sondern aus einer Künstlichen Intelligenz. Er überträgt die Legende in das Zeitalter, in dem vom Menschen geschaffene Programme eigenständig zu agieren beginnen. Verstehen wir, was uns dieser neue Golem sagt?
Ofir Barak
Der israelische Fotograf Ofir Barak (geb. 1982) setzt sich in seinen Arbeiten mit der Verbindung zwischen Religion und menschlichen Erfahrungen auseinander. Dies verdeutlicht insbesondere seine vielbeachtete fotografische Serie „Mea Shearim: The Streets“ (2017) über das Leben von ultraorthodoxen Jüdinnen und Juden in Jerusalem. Baraks Fotografien wurden international sowohl in Gruppen- als auch in Einzelausstellungen zusammen mit Magnum Photos und den Hasselblad Masters gezeigt und befinden sich unter anderem in den Sammlungen der Duke University in Durham, North Carolina und der Lucie Foundation in Los Angeles.
Michael Bielicky
Der gebürtige Prager (geb. 1954) Medienkünstler emigrierte 1969 in die Bundesrepublik Deutschland. Nach einem abgeschlossenen Medizinstudium nahm er ein Kunststudium an der Akademie der Bildenden Künste in Düsseldorf auf und gründete nach dem Fall der Berliner Mauer den Fachbereich Neue Medienkunst an der Akademie der Bildenden Künste in Prag. Von 2006 bis 2023 kehrte er als Professor und Leiter des Fachbereichs Medienkunst an der Hochschule für Kunst und Design Karlsruhe (ZKM) nach Deutschland zurück. Bielickys Installationen verbinden Kommunikations-, Navigations-, Video-, VR- und Web-Technologien mit natürlichen sowie industriell gefertigten Materialien und wurden international sowohl in Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt.
Die Kabinettpräsentation „Hin-/Zu-/Anwendungen“ wurde von Talitha Breidenstein, wissenschaftliche Volontärin des Jüdischen Museums, kuratiert und ist im Raum „Kunst und Tradition“ im zweiten Stock der Dauerausstellung zu sehen. Der Raum präsentiert in jährlichem Wechsel Positionen der zeitgenössischen Kunst, die sich auf jüdische Rituale, Bräuche und Traditionen beziehen. Die Positionen sind als eine persönliche Form der Auseinandersetzung zu verstehen. Sie umfassen sowohl Reflektionen zur rituellen Praxis wie auch zu jüdischen Selbstverständnissen, zu bedeutsamen Orten und Gegenständen wie auch zu aktuellen gesellschaftspolitischen Herausforderungen.
Pressebilder zum Download
- Ofir Barak, „Chrysalis“ (Download JPG)
- Michael Bielicky, „Seventynine“ (Download JPG)