Die Ausstellung wurde vom Jüdischen Museum in Kooperation mit dem Archäologischen Museum Frankfurt konzipiert und eröffnet mit einem ganztägigen Lerntag in Erinnerung an das Novemberpogrom, bei dem unter anderem auch die Hauptsynagoge in Brand gesetzt wurde. Die Ausstellung geht nicht nur auf die Geschichte dieser Synagoge und ihrer Vorgängerbauten ein, sondern thematisiert auch den Kampf um Gleichberechtigung von Juden in Frankfurt, der bis 1865 währte. Dabei spielen sowohl Ludwig Börne wie auch die Bewohner des Hauses über dem Gewölbekeller eine bedeutende Rolle.
Das Haus „Goldener Apfel“ – die heutige Adresse lautet „An der Staufenmauer 11“ – befand sich einst am nördlichen Ende der Judengasse. Aus seinen Fundamenten und dem von vier angrenzenden Häusern erbaute Joseph Moses Rindskopf im Jahr 1809 ein großes Stadtpalais. Ein Schlussstein mit der Inschrift „IMR 1809“ erinnert vor Ort an den einstigen Bauherrn. Später erwarb der Buchhändler Isaac Kauffmann das Stadtpalais samt Kellergewölbe. Er richtete hier eine hebräische Buchhandlung und einen Verlag ein, in dem unter anderem die Schriften des berühmten Rabbiners Samson Rafael Hirsch erschienen. Anfang des 20. Jahrhunderts ging das Haus an den Gewürzhändler Jakob Alsbach über; seit 2022 betreibt Azko Iimori in dem Haus einen japanischen Supermarkt. Ihr ist es zu verdanken, dass der
historische Gewölbekeller, den die Stadt Frankfurt seit Dezember 2023 angemietet hat, wiederhergerichtet wurde.
Die multimediale Ausstellung, die nun vor Ort zu sehen ist, zeichnet sich durch eine Präsentation unterschiedlicher Medien und Objektarten aus: Die Geschichte der Hauptsynagoge wird anhand von drei verschiedenen Modellen der Architektin Meitar Tewel und einer virtuellen Rekonstruktion, die der Architekt Marc Grellert erstellt hat, anschaulich dargestellt. Letztere zeigt das Synagogengebäude im Jahr 1860.
Eine Virtual-Reality-Brille lädt Besucherinnen und Besucher dazu ein, durch die „Straße ohne Erinnerung“, die Judengasse des Jahres 1861 (zu diesem Zeitpunkt Börnestraße genannt), zu schlendern. Entwickelt hat diesen virtuellen Spaziergang zu Auszügen aus Siegfried Kracauers „Erinnerung an eine Pariser Straße“ (1930) und Isidor Kracauers „Geschichte der Judengasse“ (1906) das Medienkunst- und Performancekollektiv LIGNA auf Grundlage von Marc Grellerts Rekonstruktion der Judengasse. Der immersiven Anwendung steht ein Stadtraummodell von Meitar Tewel zur Seite, welches den Verlauf der ehemaligen Judengasse im Verhältnis zum heutigen Stadtbild darstellt.
Mit dem Kanonenbeschuss des nördlichen Endes der Judengasse und der Besetzung Frankfurts durch die französischen Revolutionstruppen im Jahr 1796 endete nicht nur der Zwang für Juden, im abgeschlossenen Bezirk der Judengasse zu leben. Die Besatzung verlieh Juden auch den Status gleichberechtigter Bürger, die für ihre neu erworbene Wahlberechtigung der eingesetzten Regierung allerdings Geld zahlen mussten. Als diese Regierung 1813 stürzte, wurde ihre bürgerliche Gleichstellung wieder zurückgenommen. Die Wahlbeteiligung und das Ausüben öffentlicher Ämter blieb Juden fortan qua Gesetz untersagt. Es begann ein langer Kampf um Gleichberechtigung, in dem der Publizist Ludwig Börne eine zentrale Rolle spielte. 1786 in der Frankfurter Judengasse als Juda Löb Baruch geboren, entwickelte er sich zu einem vehementen Vorkämpfer demokratischer Werte, deren Realisierung er selbst jedoch nicht mehr erlebte. Mit der Verabschiedung der „Grundrechte des deutschen Volkes“ in der Paulskirche 1848 schien der Kampf am Ziel – zumindest vorläufig.
Welche Bedeutung haben Ludwig Börnes Ideale heute? Und was bedeuten diese Grundrechte ganz konkret für einzelne Personen? Antworten auf diese und andere Fragen beantworten Anwohnerinnen, Anwohner und Passanten sowie Frankfurts Kulturdezernentin Dr. Ina Hartwig, der Publizist Max Czollek und die Schriftstellerin Eva Menasse in filmischen Interviews, die in der Ausstellung zu sehen sind. Eine sich anschließende partizipative Station lädt die Besucherinnen und Besucher ein, anhand von Demokratierezepten diese Grundrechte zu entdecken und selbst aktiv zu werden.
Neben der neu eröffneten Ausstellung dient der „Goldene Apfel“ als ein Multifunktionsort, der vom Jüdischen Museum Frankfurt, Archäologischen Museum Frankfurt, Künstler*innenhaus Mousonturm und dem Fachbereich Öffentlicher Raum des Stadtplanungsamts genutzt wird. Unter dem Titel „Doing Democracy – Zur Zeit der Judengasse und heute“ bietet das Jüdische Museum vor Ort eine „Demokratiewerkstatt“ als buchbares Bildungsangebot an, bei dem sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Chancengleichheit und Gleichberechtigungsfragen in der Gegenwart beschäftigen. Der Workshop dauert drei Stunden und richtet sich an Personen ab 14 Jahre in Gruppen von bis zu 15 Personen.
Die kuratorische Projektleiterin der neuen Ausstellung im „Goldenen Apfel“ ist Sonja Thäder, der die Kuratorin Katja Janitschek (beide Jüdisches Museum Frankfurt) zur Seite steht. Zum kuratorischen Team gehören außerdem Maria Messner und Roman Zabolotnîi (beide Archäologisches Museum Frankfurt). Die Ausstellungsarchitektur verantwortet das Architekturbüro Wandel Lorch Götze Wach.
Der „Goldene Apfel“ ist donnerstags von 14 bis 18 Uhr sowie samstags und sonntags von 10 bis 18 Uhr kostenfrei zugänglich.
Öffentliche Führungen finden jeweils am 1. Sonntag im Monat (11 Uhr) und am 3. Donnerstag im Monat (17 Uhr) statt. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich; Treffpunkt ist der Eingang zum Goldenen Apfel. Workshops und individuelle Führungen können per E-Mail gebucht werden: besuch.jmf@stadt-frankfurt.de
Der Gewölbekeller ist nur über eine Treppe erreichbar; es gibt keinen Aufzug.
Weitere Informationen: www.juedischesmuseum.de/goldenerapfel
Trailer: Virtuelle Rekonstruktion der Frankfurter Hauptsynagoge
Pressebilder zum Download
- Blick in die Ausstellung im "Goldenen Apfel". CC-BY 4.0 Jüdisches Museum Frankfurt, Foto: Norbert Miguletz (Download JPG)
- Blick in die Ausstellung im "Goldenen Apfel". Der Schlussstein mit den Initialen "IMR 1809" weist auf den früheren Eigentümer des Hauses hin: Joseph Moses Rindskopf. CC-BY 4.0 Jüdisches Museum Frankfurt, Foto: Norbert Miguletz (Download JPG)
- Blick in die Ausstellung im "Goldenen Apfel". CC-BY 4.0 Jüdisches Museum Frankfurt, Foto: Norbert Miguletz (Download JPG)
- Virtuelle Rekonstruktion der Frankfurter Hauptsynagoge in ihrem Zustand von 1861 © 2024 TU Darmstadt, FG Digitales Gestalten (Download JPG)
- Virtuelle Rekonstruktion des Inneren der Frankfurter Hauptsynagoge nach 1912, Blick von der Westempore © 2024 TU Darmstadt, FG Digitales Gestalten (Download JPG)