Wanderausstellung "Wer war Fritz Kittel?"

Ein Reichsbahnarbeiter entscheidet sich – Zwei Familien 1933-2023

„Wer war Fritz Kittel?“ Diese Frage stellt die Schriftstellerin Esther Dischereit. Der Reichsbahnarbeiter hatte ihre Mutter Hella und Schwester Hannelore Zacharias in der NS-Zeit versteckt. Ihm widmet sich die Wanderausstellung im Museum Judengasse.

„Wer war Fritz Kittel?“ Diese Frage stellte sich die Schriftstellerin Esther Dischereit. Sie begab sich auf die Suche nach der Geschichte dieses Mannes sowie seiner Familie. Was sie nach langen Recherchen herausfand: Der Eisenbahner hatte Dischereits Mutter Hella und ihre Schwester aus erster Ehe, Hannelore Zacharias, während der nationalsozialistischen Herrschaft bei sich in Heringen (Werra) versteckt und ermöglichte damit ihr Überleben. Die Schriftstellerin nahm Kontakt zu den Angehörigen von Fritz Kittel auf, die noch immer in Heringen leben. Sie fand heraus, dass seine Familie nichts von seiner rettenden Tat wusste. Daraufhin entschied sie, sich auf Spurensuche nach seiner Geschichte zu begeben.

In Zusammenarbeit mit Dr. Susanne Kill von der Historischen Sammlung der Deutschen Bahn AG hat Esther Dischereit eine Wanderausstellung konzipiert, die nun im Museum Judengasse zu sehen ist. Im Zentrum der Ausstellung steht die Geschichte der Rettung von Hella Dischereit und Hannelore Zacharias durch Fritz Kittel, die mit Dokumenten, literarischen Texten und dokumentarischen Filmen dargestellt wird. Die multimediale Ausstellung fragt nach den Motiven der Rettung und thematisiert die Rolle der Deutschen Reichsbahn im Nationalsozialismus. Sie geht sowohl auf die Beteiligung der Reichsbahn an der Schoa wie auch auf das Schicksal jüdischer Eisenbahner ein.

Zehn dokumentarische Filme von Gerhard Schick begleiten die Spurensuche von Esther Dischereit und weiterer Mitglieder ihrer Familie sowie der Kinder und Enkelkinder von Fritz Kittel in Berlin, Żary (dem damaligen Sorau) und Heringen. Ihnen zur Seite stehen Dokumente aus den Entschädigungsakten von Hella Dischereit und Hannelore Zacharias, die von ihrer Verfolgung und Entrechtung während des Nationalsozialismus und ihrem Kampf um Entschädigung im Nachkriegsdeutschland zeugen. Zu sehen sind darüber hinaus auch die gefälschten Papiere, die ihr Überleben ermöglichten. Sie werden von Dokumente zu den Biografien von Franz Bergmann und Paul Levy (Ingenieure und Reichsbahndirektoren) ergänzt, die als Juden deportiert und ermordet wurden sowie von Ludwig Homberger (dem Finanzvorstand der Reichsbahn), der in die Emigration fliehen konnte. Ein besonderes Element der multimedialen Ausstellung bilden die eigens verfassten literarische Texte von Esther Dischereit, die die die verschiedenen Zeugnisse ergänzen und um persönliche Reflexionen bereichern.

Biografien

Hella Dischereit und Hannelore Zacharias erlebten die Befreiung von der nationalsozialistischen Herrschaft durch den Einmarsch US-amerikanischer Soldaten am 1. April 1945 in Heringen (Werra). Hellas Ehemann Felix Zacharias überlebte untergetaucht in Berlin. Ihre Ehe wurde 1947 geschieden, Hella heiratete erneut und bekam weitere Kinder – eines davon ist Esther Dischereit, die in Heppenheim zur Welt kam.
Hannelore Zacharias lebte nach der Befreiung weiterhin bei ihrer Mutter und wurde gemeinsam mit ihr eines der ersten Mitglieder der Jüdischen Gemeinde zu Bensheim, später Darmstadt. Nach dem Abitur studierte sie Sprachen und ging nach Italien. Dort traf sie den US-amerikanischen Schauspieler und Aktivisten der Bürgerrechtsbewegung, Harold Bradley. 1962 heirateten die beiden und bekamen drei Kinder. 2014 starb Hannelore in Rom.

Esther Dischereit lebt heute in Berlin. Sie veröffentlicht Prosa, Lyrik, Essays sowie journalistische Arbeiten und Stücke für Rundfunk und Theater. Mit Werken wie „Joëmis Tisch – Eine jüdische Geschichte“ und „Übungen jüdisch zu sein“ wurde sie zu einer wichtigen literarischen Stimme der zweiten Generation nach der Schoa. Sie ist auch Herausgeberin des Buchs „Hab keine Angst. Erzähl alles. Das Attentat von Halle und die Stimmen der Überlebenden“ (2020), auf das sie am 12. Oktober 2023 in einem Podiumsgespräch zum Jahrestag des Anschlags im Jüdischen Museum eingehen wird.

Fritz Kittel heiratete im Jahr 1947 Maria Ditzel. Eine Bescheinigung von Hella Dischereit über den Familienstand von Fritz Kittel aus dem Jahr 1947 scheint das letzte Zeugnis zu sein, das den Kontakt zwischen den beiden belegt. In ihren Berichten an die Entschädigungsbehörde 1950 und 1957 erwähnt Hella Dischereit ihn zudem als Retter. Ihre Tochter Hannelore berichtete im Jahr 2005 in einem Video von ihm. Fritz Kittel blieb Eisenbahner, bekam drei Kinder und wohnte in Heringen. Er starb 1980.

Die Ausstellung wird von der Deutschen Bahn AG im Rahmen ihres Engagements für Erinnerung an die Opfer von Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus und Gewaltherrschaft gefördert.

Pressekontakt

Pressematerial und Bilder zum Download

  • Wer war Fritz Kittel? Ein Reichsbahnarbeiter entscheidet sich – Zwei Familien 1933-2023, Deutsche Bahn AG, Foto: Dominic Dupont (Download JPG)

  • Wer war Fritz Kittel? Ein Reichsbahnarbeiter entscheidet sich – Zwei Familien 1933-2023, Deutsche Bahn AG, Foto: Dominic Dupont (Download JPG)

  • Wer war Fritz Kittel? Ein Reichsbahnarbeiter entscheidet sich – Zwei Familien 1933-2023, Jüdisches Museum Frankfurt, Foto: Sara Nasraty (Download JPG)