Ruth und Hans Julius Wolff waren Enkelkinder von Adolf Pinner, und beide standen durch ihre Mütter Frieda Pinner-Alexander und Käthe Pinner-Wolff bis zu ihrer jeweiligen Emigration (und auch später) in engem familiären Kontakt. Durch die Erschließung des Nachlasses von Hans Julius Wolff entstand der Kontakt zu den Söhnen von Ruth, Doron und Gil Zeilberger, die beide mit viel Engagement dazu beitrugen, dass der Nachlass Hans Julius Wolff in seinem Zusammenhang analysiert werden konnte.
Dadurch angestoßen übergab Gil Zeilberger im Laufe des Jahres 2012 dem Jüdischen Museum Frankfurt zwei Mappen mit Briefen aus dem Nachlass seiner Mutter Ruth.
Briefe von Frieda und Paul Alexander 1938/39
Viele Briefe zeigen die seelische Not aller Kinder und auch der Eltern, dass das sechste Kind der Familie, Elisabeth (Bethchen), von keinem Land aufgenommen wurde, weil sie von Geburt an eine Herzerkrankung hatte. Alle fünf Kinder und ihre Partner zeigen, gespiegelt von den Elternbriefen, ihren Kummer, weder die Eltern noch Elisabeth zu sich ins sichere Ausland holen zu können. Die Eltern wiederum können und wollen nicht ohne die kranke Tochter emigrieren. Frieda und Paul wurden 1942 Opfer des Naziregimes, ebenso Elisabeth, die der Ermordung durch Freitod entging, einen Tag vor der Deportation ihrer Eltern.
Briefe an Ruth Alexander-Zeilberger 1934–1938
Mappe 1 umfasst 65 Dokumente, bestehend aus Briefen und Postkarten, die Ruths in Berlin lebende Eltern Frieda und Paul Alexander in den Jahren 1938/39 an ihre fünf nach Palästina und Südafrika ausgewanderten Kinder schrieben. Diese Briefe sind nicht nur ein einzigartiges Zeugnis der innigen familiären Bindungen. Sie bieten auch tiefe Einblicke in die Bedrängungen und Schikanen, denen die in Deutschland verbliebene Familie ausgesetzt war.
Mappe 2 ist ein spannender Fund, den Gil Zeilberger im Sommer 2012 anlässlich eines Besuches in Israel machte. Er fand die durch Mäusefraß stark beschädigte Korrespondenz vor, die seine Mutter Ruth in einem Ordner gesammelt hatte. Es handelt sich um 220 Dokumente, 152 handgeschriebene und 25 maschinengeschriebene Briefe, sowie um 43 Postkarten, die vorwiegend in der Zeit von 1934 bis 1938 an Ruth geschickt wurden. Aus den Briefen der schon ausgewanderten Geschwister und denen einiger Freundinnen ist sehr viel über die schwere Pionierzeit der deutschen Einwanderer in Palästina zu erfahren. Detailliert schildern die Geschwister in Palästina ihrer Schwester Ruth, was es bedeutet, nach Palästina auszuwandern. Alle Facetten des Lebens werden anschaulich dargestellt, um der Schwester keine falschen Vorstellungen vom dortigen Alltag zu machen. Die Schilderungen geben ein authentisches Bild vom Leben der Emigranten. Alle Schriftstücke zeichnen sich überdies durch ein hohes sprachliches Niveau aus.
Die Briefe der Mitglieder der großen Familie in Berlin, aber auch die der Freundinnen und Arbeitskolleginnen von Ruth lassen ein lebendiges Bild entstehen von Ruth Alexander-Zeilberger. Sie muss schon als Kind außergewöhnlich gewesen sein, denn die Sympathien aller Familienmitglieder fliegen ihr zu. Dies ist besonders in den Briefen von Großmutter Anna Pinner („Omama“) und Tante Käthe Wolff-Pinner zu sehen. Obgleich Ruth die Jüngste der Familie Alexander ist, wird sie oft von ihren Geschwistern um Rat gefragt.
Auch die Eltern geben zu erkennen, wie stark ihre Bindungen an Ruth sind und wie wichtig ihnen ihr Urteil ist. Man kann anhand der Briefe der Eltern die allgemeine Entwicklung im Berlin der Nazizeit, wie auch die persönliche von Ruth verfolgen. Dazu sollte man zunächst die Mappe 2 anschauen, die den Zeitraum 1934 bis 1938 umfasst, und danach die Mappe 1, die die Zeit von 1938 bis 1939 erhellt.
Ruth Alexander-Zeilberger als Jugendarbeiterin und Musiklehrerin
Briefe von Freundinnen und Kolleginne aus ihrem Arbeitsumfeld (Israelitische Jugendhilfe München, Israelitisches Waisenhaus Dinslaken u.a.) geben ebenfalls machen deutlich, wie sehr Ruth als Jugendleiterin in den jeweiligen Institutionen geschätzt wurde. Ausgebildet in diesem Beruf, wanderte sie im Juli 1938 nach Palästina aus, studierte dort Musik und wurde eine engagierte Musiklehrerin. Von 1942 bis 1946 wurde Ruth als Mitglied des „women’s corps of the Palestine unit of the British army“ und als „first sergeant“ in Alexandria (Ägypten) stationiert. Während dieser vier Jahre studierte sie das Orgelspiel bei ihrem Freund William (Harry) Gabb, der später Organist von „Her Majesty’s Chapel Royal“ und Suborganist der St. Paul’s Cathedral war.
Danach ging sie nach Jerusalem und arbeitete dort als Musiklehrerin. 1948 war sie zudem Leutnant in den Israelischen Streitkräften. Ihren künftigen Ehemann, den renommierten Pädagogen Yehuda Heinz Zeilberger (1915–1994), lernte Ruth bei einer Party in Tel Aviv kennen, die von der in Israel hoch geachteten und führenden Musiklehrerin Kaethe Jacob gegeben wurde. 1949 heiratete das Paar und zog nach Haifa, wo die Söhne Doron und Gil geboren wurden.
Ruth übte ihren Beruf als Musiklehrerin engagiert und hingebungsvoll bis zu ihrer Pensionierung aus. In den 1960er und 1970er Jahren setzte sie sich als Erste für die musikalische und rhythmische Unterweisung von behinderten Jugendlichen ein. Damit war sie auf diesem Gebiet eine Pionierin in Israel. Ihre Lehrmethoden wurden später von vielen Musikpädagogen übernommen. Die Briefe gerade dieser Mappe spiegeln die vielfachen Begabungen von Ruth.
Briefe an Ruth Alexander-Zeilberger 1946–1948
Bei Mappe 3 handelt es sich um Briefe, die zwischen 1946 und 1948 von Geschwistern und Freunden an Ruth Alexander geschrieben wurden. Diese Originale übergab Gil Zeilberger im Februar 2013 dem Jüdischen Museum.
Singspiel für das Jüdische Waisenhaus München 1937
Im April 2013 übergab Gil Zeilberger dem Jüdischen Museum zwei weitere wichtige Dokumente für den Nachlass seiner Mutter Ruth Alexander-Zeilberger. Es handelt sich zum einen um ein von der jungen Ruth verfasstes Singspiel (Mappe 4), das sie als Abschiedsgeschenk im April 1937 der Leiterin des Jüdischen Waisenhauses München überreichte und offensichtlich mit den Kindern dieses Hauses in ihrer Eigenschaft als Kindergärtnerin aufführte. Das 14-seitige Lehrgedicht führt Kinder in die hohen jüdischen Feiertage ein. Das übergebene Original ist in gutem Zustand.
Tagebücher Ruth Alexander-Zeilberger 1946/47
Das Museum erhielt ferner die Fotokopien von zwei Tagebüchern, die Ruth Alexander in den Jahren 1946/47 führte, als sie sich einer Analyse unterzog, die infolge der Traumatisierung durch den gewaltsamen Tod ihrer Eltern und ihrer Schwester während der Schoa nötig wurde.
Das Jüdische Museum Frankfurt dankt Gil Zeilberger herzlich für die Überlassung dieses wichtigen Nachlasses seiner Mutter Ruth.