Dieses Fsrbdia zeigt einen Straßenzug im Ghetto von Lodz, 1940-44

1990: "Unser einziger Weg ist Arbeit"

Das Ghetto in Lodz 1940–1944

1987 tauchten im Wiener Antiquariatshandel fast 500 Farbdias aus dem Ghetto in Łódź auf. Wir haben diesen Bestand erworben und zum Mittelpunkt einer Ausstellung zur Geschichte dieses Ghettos gemacht; das erste, das seiner Art in Polen unter deutscher Besatzung. Unser stellvertretender Direktor Michael Lenarz blick zurück.

Ghettoleben in Bildern

Das Vorbereitungsteam für die Ausstellung unter Hanno Loewy stellte damals Nachforschungen zu den Bildern an. Das Ergebnis: Die Bilder waren 1940 bis 1944 vom Finanzleiter der deutschen Ghettoverwaltung, Walter Genewein aus Salzburg, angefertigt worden. Sie zeigen die Grenzen des Ghettos von innen und außen, einen Besuch Heinrich Himmlers und anderer hoher NS-Funktionäre im Ghetto, die führenden Mitarbeiter der deutschen Ghettoverwaltung und der jüdischen "Selbstverwaltung" des Ghettos. Genewein fotografierte außerdem Straßenszenen und einzelne Bewohner des Ghettos sowie die verschiedenen Einrichtungen im Ghetto.

Ghettowirtschaft

Im Zentrum der Aufmerksamkeit des Fotografen standen jedoch die Wirtschaftsbetriebe im Ghetto, in denen für die Wehrmacht, deutsche Privatunternehmen und für die Eigenversorgung des Ghettos produziert wurde. Vermutlich war die Diaserie angelegt worden, um Produktionsaufträge für die Ghettobetriebe einzuwerben. Auf die Bedeutung der Zwangsarbeit für den Fortbestand des Ghettos verweist auch der Titel der Ausstellung: "Unser einziger Weg ist Arbeit" war das Motto des Leiters der jüdischen Selbstverwaltung Chaim Rumkowski.

Reaktion von Zeitzeug*innen

Zeitzeug*innen, die das Ghetto in Łódź überlebt hatten, reagierten auf diese Farbdias befremdet, teils schockiert. Zu sehr unterschied sich der Blick des an der ökonomischen Ausbeutung und Vernichtung der Ghettoinsassen beteiligten Fotografen von ihren eigenen inneren Bildern und Erinnerungen. Hunger, Seuchen, Deportation und Tod, die den Ghettoalltag bestimmten, sind in Geneweins Fotos höchstens angedeutet. Allen Zeitzeug*innen fiel die Leblosigkeit mancher vermutlich gestellter Szenen auf. Für die Ausstellungsmacher war daher klar, dass diese schwierigen Dias nicht isoliert gezeigt werden konnten. Mit Leihgaben aus Polen, Israel und den USA gelang es, Dokumente, Tagebucheinträge, Erinnerungen von Zeitzeugen und Fotos jüdischer Ghettofotografen zusammenzutragen. Sie zeichneten ein wesentlich realitätsnäheres Bild des Ghettos in Łódź und wurden Geneweins Dias gegenübergestellt.

Auf ähnliche Weise kontrastierte der unter anderem mit dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnete Dokumentarfilm „Fotoamator / Photographer“ des polnischen Regisseurs Dariusz Jablonski von 1998 die Farbdias mit den Erinnerungen des Ghettoarztes Dr. Arnold Mostowicz.

Schwierige Bilder

Die Diskussionen um den Umgang mit den Farbdias in der Zeit der Ausstellungsvorbereitung sind mir noch in lebhafter Erinnerung. Ich war seinerzeit nicht direkt mit diesem Projekt befasst. Als Archivar des Museums arbeite ich aber seit damals ständig mit den Farbdias und anderen Materialien der Ausstellung. Durch diese Ausstellung ist mir erst richtig bewusst geworden, dass Fotos kein neutrales Bild der Realität bieten. Genauso wie schriftliche Quellen müssen auch scheinbar objektive Fotografien kritisch betrachtet und auf die Intentionen der Urheber hin befragt werden.