Wahlaufruf der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) für die Wahlen zur Deutschen Nationalversammlung 1919

Für die Wahlschlacht und den Gang zur Wahlurne

Zur Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland vor 105 Jahren
Porträt von Heike Drummer
17. Januar 2024Heike Drummer

Am 19. Januar 1919 durften Frauen in Deutschland zum ersten Mal wählen und gewählt werden. Nach Kaiserreich und Erstem Weltkrieg schrieb die Weimarer Reichsverfassung das aktive und passive Wahlrecht für Frauen und Männer ab dem Alter von 20 Jahren fest. Ein langer Kampf der Frauenbewegung fand damit ein Ende. In Frankfurt gehörten etwa Bertha Pappenheim, Henriette Fürth, Anna Edinger, Marie Pfungst, Jenny Apolant, Else Alken, Toni Sender und Martha Wertheimer zu den Vorkämpferinnen jüdischer Herkunft, die sich beharrlich für das Recht von Frauen auf politische Teilhabe einsetzten. Nach 1933 wurde ihr Andenken und ihr Engagement verleugnet, einige Frauenrechtlerinnen und Politikerinnen wurden hochbetagt ins Exil getrieben oder in der Schoa ermordet. Heike Drummer, Kuratorin für Zeitgeschichte, erinnert an diese Frauen.

Bertha Pappenheim (1859-1936)

Bertha Pappenheim

Die deutsche Frauenbewegung brachte dem schüchternen, unsicheren Voranschreiten des jüdischen Frauenwillens Weg- und Zielsicherheit. Aus den deutschen Frauenleben ist dieses Zusammenfließen der beiden Kulturen gar nicht mehr fortzudenken und niemals auszulöschen.

Bertha Pappenheim (1859-1936), Sozialpolitikerin, Gründerin des Jüdischen Frauenbundes.
Bertha Pappenheim (1859-1936), Sozialpolitikerin, Gründerin des Jüdischen Frauenbundes. Foto: Institut für Stadtgeschhichte Frankfurt am Main

Nach Bertha Pappenheim ist seit 2020 der Platz vor dem Jüdischen Museum benannt. Die gebürtige Wienerin war eine Vorkämpferin für Frauenrechte und engagierte sich in der Sozialarbeit. 1904 gehörte sie zu den Gründerinnen des Jüdischen Frauenbundes. In Neu-Isenburg bei Frankfurt richtete sie ein Heim für Mädchen ein, bekämpfte den Mädchenhandel und die Prostitution. Trotz der Verfolgung nach 1933 blieb Pappenheim zunächst Antizionistin; die Flucht von Minderjährigen nach Palästina ohne Eltern lehnte sie ab. Erst nach Verkündung der Nürnberger Rassegesetze 1935 änderte sie ihre Meinung. Schwer krank musste Bertha Pappenheim im April 1936 einer Vorladung der Geheimen Staatspolizei Folge leisten; kurz darauf starb sie in Frankfurt.

Henriette Fürth (1861-1938)

Henriette Fürth, Schwarzweiß-Fotografie um 1910
Henriette Fürth, Fotografie um 1910, Atelier Samson& Co. Lübeck, Privatbesitz

Henriette Fürth war Frauenrechtlerin, Sozialarbeiterin und Publizistin. Von 1919 bis 1924 vertrat sie die SPD im Frankfurter Stadtparlament und gehörte damit zu einer der ersten Frauen in dieser Versammlung. Nach Gründung der Frankfurter Universität 1914 trat sie für die Gleichbehandlung von Jüdinnen und Juden bei den Stellenbesetzungen ein. Ab 1933 wurde sie von den Nationalsozialisten verfolgt und verlor alle Ämter. Henriette Fürth starb 1938 in Bad Ems. Zwei Töchter ihrer insgesamt acht Kinder wurden in der Schoa ermordet.

Anna Edinger (1863-1929)

Porträt von Anna Edinger in einem Ölgemälde
Helene Sommer (1862-1932), Porträt von Anna Edinger, Ölgemälde 1899. Jüdisches Museum Frankfurt

Anna Edinger gehörte zu den bedeutenden Stifterinnen der Frankfurter Universität. Die Friedensaktivistin engagierte sich in der jüdischen Frauenbewegung, der Jugendfürsorge, kämpfte für die Verbesserung der Rechte von Frauen, besonders für Maßnahmen gegen weibliche Armut. Ab den 1890er Jahren wurde Edinger zu einer wichtigen Organisatorin und Netzwerkerin im Bereich der professionellen Sozialarbeit. Unter anderen gehörte sie zu den konstituierenden Mitgliedern im Institut für Gemeinwohl von Wilhelm Merton (dem wir jüngst eine Ausstellung gewidmet haben), zu den Gründerinnen des Hauspflege-Vereins, des Vereins für Armenpflege und der Centrale für private Fürsorge.

Marie Pfungst (1868-1943)

Foto von Marie Pfungst (1868 Frankfurt am Main – 1943 Theresienstadt)
Marie Pfungst (1868 Frankfurt am Main – 1943 Theresienstadt)

Marie Pfungst setzte sich für die Rechte und besseren Ausbildungsmöglichkeiten von Frauen ein. Schon 1898 wurde sie als Schriftführerin in den Vorstand der Ortsgruppe des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins gewählt. Sie kooperierte eng mit Bertha Pappenheim und Anna Edinger und arbeitete in der Frankfurter Rechtsschutzstelle für Frauen; hier gab es einen großen Bedarf nach Beratung und Unterstützung. Marie Pfungst richtete außerdem im Verein „Frauenbildung – Frauenstudium“ Ausbildungskurse für Mädchen ein und begründete zusammen mit Jenny Apolant Realgymnasialkurse für Mädchen in Frankfurt. Sie finanzierte die Ausbildung von Krankenpflegerinnen und eine Heimgründung für Frauen, die unverschuldet in Not geraten waren. Von 1912 bis 1933 war Marie Pfungst Vorstandsvorsitzende der Naxosfabrik. Sie hatte bereits während des Ersten Weltkriegs viel zur Unterstützung notleidender Familien von Kriegsteilnehmern beigetragen. 1942 wurde Marie Pfungst nach Theresienstadt verschleppt, wo sie 1943 starb.

Jenny Apolant (1874-1925)

Jenny Apolant

Wo staatsbürgerliche Pflichten bereits erfüllt werden, müssen staatsbürgerliche Rechte billigerweise folgen.

Jenny Apolant, Kreidezeichnung von E. Kahn-Hensel, 1926 Historisches Museum Frankfurt

Das Anliegen von Jenny Apolant war die Durchsetzung des Frauenstimmrechts und die Förderung weiblicher Berufstätigkeit. Sie leitete die Zentralstelle der Frankfurter Ortsgruppe des "Allgemeinen Deutschen Frauenvereins" und saß nach der Einführung des Frauenwahlrechts 1919 für die linksliberale DDP in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung. Die Zentralstelle sorgte für die Anerkennung ehrenamtlicher Tätigkeit und leistete allgemeine Rechtsaufklärung. Mit ihrem Ehemann setzte sich Jenny Apolant in der Jüdischen Gemeinde für ein liberales bürgerliches Judentum ein.

Else Alken (1877-1942)

Foto von Else Alken in einem Wohnzimmer sitzend
Else Alken © Hessisches Hauptstaatarchiv Wiesbaden

Else Alken war politisch für die Zentrum-Partei aktiv und ab 1924 das erste weibliche Frankfurter Magistratsmitglied. Im Alter von 18 Jahren war sie zum Katholizismus konvertiert. Die ehrenamtliche Stadträtin wurde 1933 aus dem Amt gejagt. Nach dem Tod ihres Ehemannes zog sie nach Österreich und beantragte von dort aus Witwenrente, was die Frankfurter Stadtverwaltung jedoch ablehnte. Verarmt kehrte sie nach Frankfurt zurück. Else Alken wurde 1942 in das Lager Theresienstadt verschleppt, wo sie drei Monate später starb.

Toni Sender (1888-1964)

Toni Sender

Zehn Jahre deutscher Republik haben unsere Träume noch nicht erfüllt – aber die kommende Zeit wird in uns stählen das Gefühl unserer eigenen Macht.

Foto von  Weitere Einzelheiten Tony Sender um 1950
Tony Sender um 1950 Foto: Historisches Museum Frankfurt CC BY-SA 4.0

Schon früh engagierte sich Toni Sender für den Sozialismus. Während der November-Revolution 1918 war sie Generalsekretärin im Frankfurter Arbeiter- und Soldatenrat, später Stadtverordnete und Abgeordnete im Reichstag für die SPD. Nach der Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar 1933 erhielt sie Morddrohungen und floh ins US-amerikanische Exil. In New York arbeitete Toni Sender nach dem Zweiten Weltkrieg in der UN-Menschenrechtskommission, trat für Frauenrechte sowie für eine friedliche und soziale Weltordnung ein.

Martha Wertheimer (1890-1942)

Martha Wertheimer

Aber da wir seit langen Jahren dieses Recht immer wieder gefordert hatten, in Broschüren, Flugzetteln, Werbeabenden, Diskussionsreden, Bildern, da wir gegen eine Welt von Vorurteilen im eigenen Lager, unter den Frauen, gekämpft hatten, wars jetzt an uns, in der kurzen Zeit, die uns bis zu den ersten Wahlen blieb, die Frauen, so gut als es ging, für die Wahlschlacht und den Gang zur Wahlurne vorzubereiten. Wir fühlten uns verantwortlich und ließen es nicht beim Gefühl.

Foto von Martha Wertheimer um 1936
Martha Wertheimer um 1936 Foto: Jüdisches Museum Frankfurt

Martha Wertheimer studierte Geschichte, Philosophie, deutsche und englische Philologie an der Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften, ab Wintersemester 1914/15 an der damals neu eröffneten Frankfurter Universität. 1919 wurde sie hier als vierte Frau überhaupt mit der Dissertation "Über den Einfluss Friedrichs des Großen auf Voltaire (nach dem staatstheoretischen Inhalt ihres Briefwechsels)" summa cum laude promoviert. Anschließend arbeitete Martha Wertheimer als Kulturredakteurin der Offenbacher Zeitung, wo sie lange als "Tante Martha" den "Briefkasten" betreute. Sie setzte sich für die Emanzipation und das Stimmrecht von Frauen ein, forderte deren Recht auf Arbeit oder auch ein Ende der Diskriminierung unverheirateter Mütter und ihrer Kinder. Nach ihrer verfolgungsbedingten Entlassung arbeitete Martha Wertheimer noch bis 1938 als Chefredakteurin des Israelitischen Familienblattes in Berlin. Nach dem November-Pogrom 1938 organisierte sie in Frankfurt "Kindertransporte" und rettete so Hunderte Mädchen und Jungen das Leben. Martha Wertheimer wurde im Juni 1942 aus Frankfurt am Main deportiert; noch auf dem Transport schied sie durch Freitod aus dem Leben.

Heike Drummer

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