Unsere Kuratorin Sonja Thäder, Expertin für die Geschichte der Familie Rothschild, wirft in diesem Beitrag einen Blick auf unseren kostbaren Rothschild-Flügel und die Rolle, die Musik in der berühmten Bankiersdynastie spielte.
Am 30. Januar dieses Jahres haben wir eine neue Genussreihe im Jüdischen Museum Frankfurt eingeführt: Das Neujahrskonzert auf unserem historischen Ehrbar-Flügel. Dieses besondere Instrument befindet sich seit 2017 in unserem Besitz und ist ein Geschenk der Gesellschaft der Freunde und Förderer des Jüdischen Museums. Ein schöner Anlass, das Verhältnis der Familie Rothschild zur Musik näher zu beleuchten.
Ein Rothschild-Flügel im Jüdischen Museum
Der zierliche Salon-Flügel aus dunkelrotem Palisanderholz wurde 1873 in der Wiener Werkstatt Friedrich Ehrbar gebaut. Seine technische Besonderheit ist, dass es sich hier noch um die sogenannte Wiener Mechanik handelt, die seit dem weltweiten Erfolg der Steinway-Flügel nicht mehr eingebaut wird. Das Markanteste an dieser Technik ist die Art des Anschlags auf die Saiten. Ehrbar-Experte und Pianist unseres ersten Konzerts, Prof. Dr. Gerrit Zitterbart, beschreibt es damit, dass der/die Pianist*in auf einem solchen Flügel "richtig arbeiten" müsse. Heutige Pianist*innen seien die weltweit einheitliche und leichtere Steinway-Mechanik gewohnt und bräuchten für die historische Mechanik ein bis zwei Tage Eingewöhnungszeit.
Nach dem Ankauf des schönen Instruments wanderte der Flügel für eine längere Zeit in die Restaurierungswerkstatt von Markus Fischinger in Berlin. Zu seiner Freude waren Holz und Korpus so gut erhalten, dass er sich hauptsächlich auf die Saiten, die Aufarbeitung von kleinen Rissen und neue Schraubgewinde für die Beine konzentrieren konnte. Dass das dünne Holz dabei nicht zersprang gehört mitunter zu den großen Leistungen seiner Arbeit. Aufpoliert und neu gestimmt wird er nun regelmäßig im Museum zum Klingen gebracht werden.
Ein Anreiz für den Kauf des Instruments war für uns ein prominenter Vorbesitzer: Einst hatte gehörte es Freiherr Nathaniel von Rothschild (1836-1905), bevor er wahrscheinlich ab dem frühen 20. Jahrhundert die Besitzer wechselte. Dies war für uns ein guter Anlass, unsere Neujahrskonzertreihe auf dem "Rothschild-Flügel" mit dem Thema "Musik wie bei den Rothschilds" zu beginnen.
Musik im Bankhaus
Den Namen Rothschild bringt Otto/Ottilie Normalverbraucher*in vermutlich nicht so häufig mit Musik in Verbindung wie etwa mit Wein. Dabei bewegen wir hier uns beide Male in einem Gefilde, in dem die Familie Genuss, Ästhetik und Wirtschaft zusammenbrachte.
Die frühesten und schon zu Beginn sehr beeindruckenden Musikveranstaltungen innerhalb der Bankiersdynastie sind uns aus dem Londoner Bankhaus von Nathan Mayer Rothschild (1777-1836) bekannt. Er selbst gab zwar offen zu nichts von Musik zu verstehen aber seine Frau Hannah (1783-1850) war eine hochgebildete und musische Frau. Sie verstand es, die damals wichtigsten Komponisten und Musiker in ihr Stadthaus und ihre Landsitze zu bringen. Ihre Soireen gehörten bald zu den Highlights der Londoner Society. Hier begegneten sich Akademiker, Salondamen und Politiker fast jeder Couleur. Und hier setzt der Aspekt an, der für Nathan der wichtigste Grund war, diese Unterhaltungsform in seinen Räumen zu finanzieren: Hier konnten sich Politiker verschiedener Parteien zwanglos begegnen, ohne dass sofort ein Kalkül hätte vermutet werden müssen. Hier konnte er ein Ohr des Parliament of Westminster finden, um sowohl sein Business zu befördern als auch die politische Lage der Juden in Großbritannien zu verbessern.
Bewundert und gefürchtet: Nathan Mayer Rothschild
Nathan war seit Anfang der 1820er Jahren in London ein zugleich bewunderter und gefürchteter Mann. Knapp 20 Jahre vorher war er von Frankfurt nach Manchester gegangen, um den Baumwollhandel seines Vaters zu unterstützen. Er hatte gut gewirtschaftet und die Tochter des wohlhabenden Bankiers Levy Barent Cohen aus London geheiratet – die bereits erwähnte Hannah. Deren Familie gehörte zur Elite der jüdischen Gemeinde Londons. Nathan hatte sich mehr und mehr als Bankier betätigt und war nach London umgesiedelt. Er hatte mit seinen vier Brüdern Schmuggelwaren von England aus durch die Kontinentalsperre Napoleons befördert, britisches Gold durch Napoleons Frankreich zu Wellingtons Truppen in Spanien geschmuggelt und den Börsenabsturz nach dem plötzlichen Sieg bei Waterloo glimpflich überstanden. Unter seiner Anleitung hatten er und seine Brüder Aufträge für Staatsanleihen in Europa aufgenommen und waren dabei, diese erfolgreich umzusetzen. Selbst Judenhasser wie der russische Zar oder Bismarck konnten später nicht auf die Staatsgeschäfte mit den Rothschilds verzichten. 1822 hatten die Brüder den österreichischen Freiherrentitel erhalten – den Nathan in England nicht tragen durfte, weshalb er überall darauf bestand als "Mr. Rothschild" angesprochen zu werden.
Konzerte und Soireen als Formen der Repräsentation verliehen dem Frankfurter, der vor allem durch seinen Erfolg und seine schlechten Manieren auffiel, ein gesellschaftstaugliches Renommee. Seine Frau Hanna verstand von Anfang an worauf es ankam, um in der noblen englischen Gesellschaft zu reüssieren und sich dort zu halten. So erhielten ihre Töchter den obligatorischen Musikunterricht bei den bekanntesten Komponisten ihrer Zeit: Ignaz Moscheles (1794-1870), Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847), Vincenzo Bellini (1801-1835), Louis Spohr (1784-1859), Gioachino Rossini (1792-1868) und Giacomo Meyerbeer (1791-1864). Nathans älteste Tochter Charlotte (1807-1859) führte ein sogenanntes Livre D’or – eine Art Poesiealbum – in das ihre Lehrer und Gäste kleine Kompositionen und Widmungen eintrugen. Mutter Hannah sorgte also auch auf dieser gesellschaftlichen Ebene für das, was in der Rothschildfirma schon längst galt: Wenn Du etwas machst, mach es groß und gibt ihm Klasse. In allen Bereichen, auch in jenen, die man leichtfertig als "Hobby" abtun könnte, entwickelten die Familienmitglieder einen Drang zur Perfektion: sei es in der Musikförderung, Wohltätigkeit, Pflanzenzucht, Zoologie, im Sammeln von Kunst oder eben dem Weinanbau.
Förderer und Freund: James Mayer de Rothschild
Neben London war ein weiterer Glanzpunkt der Familie das Palais in der Pariser Rue Lafayette, wo der jüngere Bruder James Mayer de Rothschild (1792-1868) und dessen Frau Betty (1805-1886) lebten. James war der schillerndste der fünf Brüder. Jeden Abend gab es bei ihm aufwendige Diners mit Politikern, Geschäftsleuten und Künstler*innen.
James schaffte es, im äußerst instabilen Frankreich – Republiken, Bourbonen und Bonapartes wechselten sich ab – wirtschaftlich ein wichtiger Faktor zu bleiben. Er überlebte starke Konkurrenten und investierte in die französische Eisenbahn. Er baute auch mit Absprache seiner Brüder und Neffen Netzwerke in Nord- und Südamerika auf. Nach dem Tod Nathans war er der führende Kopf des Familienimperiums. Seine diplomatischen Titel nutzte er ebenso wie seine Brüder als Fürsprecher der jüdischen Gemeinschaft in Europa und darüber hinaus, wie etwa in der Damaskus-Affäre 1840.
Anders als Nathan war James jedoch nicht nur ein genialer Bankier, sondern auch ein Ästhet. So heißt es etwa, dass Frédéric Chopins (1810-1849) seine Karriere 1832 mit einer Darbietung im Hause Rothschild in der Rue Lafayette begonnen habe. Das musikalische Genie war regelmäßiger Gast und widmete Bettys Schwiegertochter Charlotte mehrere Kompositionen. Betty von Rothschild war strahlender Mittelpunkt ihres Salons, in dem die größten Musiker kurze Teaser ihrer Werke gaben, Dichter und Literaten neue Ideen diskutierten und in dem Schöne und Reiche das Bild abrundeten. James und Bettys Liebe zur Musik, ihre Bewunderung für die die Künstler und die Kunst war echt. 1827 stellte Fürst Metternich ihm Gioacchino Rossini vor. Seitdem war der Komponist James’ Freund und mitunter auch Gast auf besonderen Familienfeiern.
Die Begeisterung für die Eisenbahn teilte Rossini, anders als so mancher Rothschild-Spross, jedoch nicht. Nach einer Fahrt auf der rothschild’schen Chemin de Fer du Nord schrieb er 1836 das Spottlied „Un petit train de plaisier“, in dem alle Zugreisenden unweigerlich sterben müssen. Dieser Kommentar zum industriellen Fortschritt ist auch in einer Medienstation im Jüdischen Museum zu hören. Daneben platziert ist eine begeisternde Fanfare aus der Feder von Hector Berlioz, der 1846 von James einen Auftrag für die Eröffnung eines Bahnhofs auf einem neuen Streckenabschnitt erhielt.
Der Besitzer des Rothschild-Flügels: Nathaniel von Rothschild
Der Rothschildspross, dem unser Flügel Ende des 19. Jahrhunderts gehört hatte, war Freiherr Nathaniel von Rothschild (1836-1905) – Rufname "Puggy". Seine Mutter war die oben erwähnte Charlotte mit dem Livre d’or, Tochter von Nathan. Sein Vater war Anselm, Sohn des Wiener Bankiers Salomon Mayer von Rothschild. Er wuchs abwechselnd in Frankfurt und in Wien auf.
Nathaniel leitete mit seinem Bruder Albert die Bankgeschäfte, zog sich aber mehr und mehr davon zurück. Er widmete sich seiner Leidenschaft als Mäzen für Kunst, Pferdezüchter, Botaniker, Wohltäter und als Bauherr prächtiger Schlösser. Er war ein Hypochonder und bewohnte ein neugebautes Schloss nur eine Nacht, nachdem er hörte, dass der Ort für Epidemien anfällig sei. Er schmückte seine Häuser mit französischer Kunst und Möbeln von Marie-Antoinette. Mit seinem Kunstsinn und dem Ehrgeiz hochkarätige Sammlungen anzulegen, bewies er zum einen den Einfluss seiner kunstsinnigen Mutter, zum anderen stand er damit im Wettbewerb mit seinen britischen und französischen Cousins.
Nathaniel starb 1905 unverheiratet und kinderlos. In seinem Testament verfügte er über die Gründung der Nathaniel Freiherr von Rothschild'sche Stiftung für Nervenkranke in Wien. Über seine Affinität zur Musik wissen wir, dass er sich ein eigenes Orchester hielt. Und so ist es nachvollziehbar, dass er sich von der ersten Adresse Wiens, aus dem Hause Ehrbar, einen Flügel anfertigen ließ.
Für das Jüdische Museum Frankfurt ist dieser Flügel somit nicht nur ein Konzertinstrument, sondern zugleich ein Objekt und Zeuge der Rothschild’schen Familiengeschichte. Als solches ist es somit auch das einzige Original der Abteilung "Familie Rothschild", das regelmäßig berührt werden darf.
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