Im Raum "Kunst und Exil" ist derzeit eine Kabinettausstellung mit Werken von Ludwig Meidner zu sehen. Zwei der Leihgeberinnen haben den Künstler noch persönlich kennen gelernt und teilten ihre Eindrücke für die Ausstellung mit den Kuratorinnen Laura Josefine Schilling und Asta von Mandelsloh.
Über eine ganze Generation der Vergessenen rollt gerade eine Welle der Wiederentdeckung. In Museen lenken Ausstellungen verstärkt den Blick des Publikums auf Kunstschaffende, die während des Nationalsozialismus ausgegrenzt, verfolgt, vertrieben und ermordet wurden. Heute teilen alte Zeitgenossinnen und Zeitgenossen wieder Nachbarschaften, wo ihre Arbeiten nebeneinander ausgestellt werden. So eröffnete die Kabinettausstellung “Hier bin ich – Meidner” im Mai 2022, während ein paar Häuser weiter am Museumsufer in der Kunsthalle Schirn Arbeiten von Lea und Hans Grundig in der Ausstellung “Kunst für Keinen” zu sehen waren. Werke der “verlorenen Generation” finden heute nach langer Zeit wieder ein Publikum. Die Kabinettausstellung “Hier bin ich – Meidner” fällt unter das Licht dieser neuen Aufmerksamkeit, die jenen Künstlerinnen und Künstlern gilt, deren Arbeiten in die Zeit der Weimarer Republik, den Nationalsozialismus und das Exil bis in die Anfänge der neuen Bundesrepublik, sowie der DDR, horchten.
Religiöse Sinnsuche und Humoresken
Mit der Halbzeit der Kabinettausstellung im Jüdischen Museum wechseln im Herbst ein Großteil der Arbeiten im Raum für Exilkunst. Wo zuvor schwarze Tuschezeichnungen aus der Zeit um 1920 mit ausdrucksstarken Linien von der religiösen und spirituellen Suche Meidners in einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs zeugten, hängen ab sofort Papierarbeiten, die zwei Jahrzehnte später im englischen Exil entstanden, wohin Meidner vor den Nationalsozialisten geflohen war. Seine Humoresken zeigen soziale Orte Londons: Cafés, Bars und Theater. Ein Kellner, halb Hahn, halb Mensch; Frauen, die ihre Nacktheit zur Schau stellen; gierige und verschämte Männer mit tierischen Köpfen, mal Schaf mal Schwein. Alltägliches mischt sich in Meidners Darstellungen mit bisweilen grotesker Szenerie. Auf anderen, bunten Aquarellzeichnungen versammelt Meidner Insekten, die ebenso in Alpträumen spuken könnten. Die Wendungen ins Fantastische sind keine Abkehr von der Realität. Vielmehr zeigt sich Meidner als genauer Beobachter seiner Umgebung: Seinen Insekten und Zwitterwesen haftet etwas Fabelhaftes an. Fabeln vermögen die Erfahrung einer zutiefst widersprüchlichen Zeit manchmal treffender auszudrücken als Abbilder der Realität.
Abgründige und fabehalfte Wesen
Ähnlich wie Hans Grundig in seinem Werkzyklus “Menschen und Tiere” ringt Meidner in tierischen Darstellungen mit der problematischen Natur des Menschen, die die NS-Herrschaft aber auch der Krieg massenhaft hervorkehrte. Meidner selbst beschlich bei späterer Betrachtung seiner Insektenbilder eine Ratlosigkeit: „Auch ich selber, gestehe ich, wunderte mich, was das zu bedeuten hätte und wußte keine Erklärung dafür“0. Die bunten Aquarellkompositionen scheinen im ersten Augenblick heiter, aber die Abgründe sind allzu nah: Insekten, die sich wie Menschen gebärden, marschieren und patrouillieren, preschen auch mal mit der Lanze in den Kampf.
Mit seiner Rückkehr nach Deutschland im Jahr 1953, wo er sich in Marxheim (heute Ortsteil von Hofheim am Taunus) niederließ, wollte Meidner an sein Renommee als Expressionist anknüpfen. Es waren nicht die Zeichnungen aus der Isolation des Exils, für die er bekannt sein wollte und so blieben sie lange weitestgehend unentdeckt und unbeachtet. Die zweite Hängung der Kabinettausstellung eröffnet nun Einblicke in die Gesellschaft dieser Zeit und gibt zugleich tiefere Einsichten in das Innenleben des Künstlers.
Die Ausstellung ist noch bis zum 1. Januar im Jüdischen Museum zu sehen.
Noch keine Kommentare. Diskutieren Sie mit.
Ihr Kommentar