Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden, Bd. 2, Frankfurt am Main 1990, S. 477„Jede Stadt hat ihre eigene Deportationsgeschichte, und jede dieser Geschichten offenbart eine Menge über die Mechanismen der Deportationen und das psychologische Klima, in dem sie stattfanden.“
Die "alte" Großmarkthalle
Entworfen wurde die Großmarkthalle Mitte der 1920er-Jahre von dem Architekten Martin Elsaesser. Sie war bautechnisch auf höchstem Niveau, konzipiert für den modernen Handel und reibungslosen Umschlag von Obst und Gemüse: mit praktischen Laderampen, großzügig dimensionierten Kühlkellern, Bahnanschlüssen mit überdachten Gleisen und einem eigenen Befehlsstellwerk.
Ein Ort der Versorgung wird zum Ort des Terrors
Die Geheime Staatspolizei (Gestapo) und NSDAP-Gauleitung nutzten das Gebäude und seine Funktionalität ab 1941 für Massendeportationen von Juden. Die Wahl war auf diesen Ort gefallen, da er innenstadtnah und verkehrstechnisch günstig zwischen Hafenbahn und Ostbahnhof lag. Deshalb mietete die Gestapo den östlichen Kellerbereich als Sammelplatz zur Durchführung der Deportationen. Der Keller bot Schutz vor neugierigen Blicken auf das Verbrechen und notdürftig Platz für Hunderte Menschen. Frauen, Männer und Kinder wurden durch das eingesetzte Personal gedemütigt, körperlich misshandelt. Letzter Habseligkeiten beraubt zwang man sie schließlich an das Gleisfeld vor der Halle. Dort standen die Züge der Deutschen Reichsbahn für die Transporte in die Ghettos und Konzentrationslager bereit. Direkt nebenan ging der tägliche Marktbetrieb weiter. Dabei blieben die grausamen Vorgänge den dort Beschäftigten nicht verborgen.
Berny C. Lane alias Werner Levi, 1998„Es war die Hölle, die ganze Nacht Untersuchungen, Schreie und Schikanen ohne Ende.“
Bei der Großmarkthalle waren nicht nur Gestapo-Beamte und Parteifunktionäre im Einsatz. Auch „normale“ Polizisten, Finanz- und Eisenbahnbeamte sowie die Mitarbeiter verschiedener städtischer Ämter wirkten an den Deportationen mit. Die Stadtverwaltung sowie viele nicht-jüdische Bürgerinnen und Bürger profitierten vom zurückgelassenen Besitz der Verschleppten. Andere bezogen Wohnungen und Häuser, aus denen Juden vertrieben worden waren.
Ansichten der Erinnerungsstätte
In Zitaten berichten Zeug*innen vom Verbrechen
Nach dem Entwurf des Architekturbüros KatzKaiser bilden Zitate von antisemitisch Verfolgten und Beobachtern der Deportationen das Geschehen an der Erinnerungsstätte ab. Eingelassen in den Boden und an Wandflächen folgen die Zitate in ihrer Anordnung einer chronologischen Dramaturgie. Auch mittelbare Ereignisse und Emotionen werden thematisiert: die Selbstmorde im Zusammenhang mit den Deportationen, die Reaktionen der Stadtbevölkerung oder die Reflexion der Verbrechen in Frankfurt.
Ilse Kahane, geb. Wetterhahn, um 2004„In 1942, I was deported. I was one of the last Jews leaving my city. We were first gathered in a big hall and then put on freight trains and sent to Berlin, where another 1.000 Jews were added to our transport, all in all 1.250 Jews. Ultimately, I am one of the final 25 survivors of this transport. After four days with hardly any food, we arrived in Estonia.”
Wegeführungen über das Areal
Ein Teil der Erinnerungsstätte befindet sich auf dem Areal der heutigen Europäischen Zentralbank (EZB). Dieser Teil kann nur im Rahmen von Führungen besucht werden. Er umfasst auch den Keller, der als Sammelplatz für die Deportationen diente. Der Bereich östlich der ehemaligen Großmarkthalle ist öffentlich zugänglich. Für beide Bereiche gibt es eine eigene Wegeführungen mit Zeugnissen zum Ablauf der Deportationen: angefangen vom Gerücht und von der Benachrichtigung betroffener Personen über bevorstehende Deportationen bis hin zum gewaltsamen Transport in die Ghettos und Lager mit Zügen der Deutschen Reichsbahn.
Öffentliche Rundgänge
Sie können sich zu unseren öffentlichen Rundgängen anmelden. Bitte nennen Sie uns bei Anmeldung die vollständigen Namen aller Teilnehmenden. Eine Anmeldung ist bis zu fünf Werktage im Voraus möglich.
Termine:
- Mi, 18. Dezember 2024, 16 Uhr
- Fr, 10. Januar 2025, 16 Uhr (englisch)
- Mi, 22. Januar 2025, 16 Uhr
- Fr, 14. Februar 2025, 16 Uhr
- Mi, 26. Februar 2025, 16 Uhr (englisch)
- Fr, 14. März 2025, 16 Uhr
- Fr, 28. März 2025, 16 Uhr (englisch)
- Fr, 11. April 2025, 18 Uhr
- Mi, 30. April 2025, 18 Uhr (englisch)
Bitte beachten Sie, dass jede teilnehmende Person einen gültigen Reisepass oder Personalausweis (im Original, nicht in beglaubigter Kopie) beim Einlass in der EZB vorzeigen muss. Andernfalls ist kein Einlass möglich! Beachten Sie außerdem, dass kein größeres Gepäck mit ins Gelände genommen werden darf. Handtaschen und kleine Rucksäcke sind erlaubt.
Gruppenrundgänge und Schulklassenworkshops
Sie können individuelle Gruppenrundgänge bei uns buchen. Diese dauern etwa eine Stunde und kosten 90 Euro (bis 20 Personen). Sie sind verfügbar auf Deutsch, Englisch und Ivrit.
Schulklassenworkshops dauern drei Stunden und bestehen aus einer Einführung, einem Rundgang durch die Erinnerungsstätte und einem Vertiefungsworkshop. Kosten: 6€/Person. Mehr erfahren
Bitte melden Sie sich spätestens vier Wochen vor Ihrem gewünschten Termin.
Unterrichtsmaterial
Zur Vertiefung eines Besuchs der Erinnerungsstätte finden Sie hier kostenloses Unterrichtsmaterial. Die didaktisch aufbereiteten Informationen und Quellen bieten die Möglichkeit, einzelne Personen und Personengruppen in den Blick zu nehmen, die an den Deportationen beteiligt waren. Download (PDF)
Besucherinformationen
Erinnerungsstätte Großmarkthalle
Heute geöffnet: 00:00 – 23:59
Der öffentliche Teil der Erinnerungsstätte ist durchgehend zugänglich.
Eintrittspreise
- Der öffentliche Teil der Erinnerungsstätte ist jederzeit kostenfrei zugänglich.O€
Barrierefreiheit
Sowohl der öffentliche als auch der nichtöffentliche Teil der Erinnerungsstätte sind barrierefrei.
Erinnerungsstätte Großmarkthalle
Philipp-Holzmann-Weg
60314 Frankfurt am Main
Öffentliche Verkehrsmittel
Straßenbahn 11, Bus 32, U6 Haltestelle Ostbahnhof